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Politbande in Nürnberg: Was der kleine Verein im Stadtrat tatsächlich bewirkt

Ein Stadtratssitz für die freie Szene

Wenn in Nürnberg über Opernsanierung, Klimaschutz oder Migration verhandelt wird, sitzt mit der Politbande eine Gruppe am Tisch, die es vor sechs Jahren noch gar nicht gab. Der Verein „zur Förderung soziokultureller Freiräume, Partizipation und Nachhaltigkeit“ ist seit Mai 2020 mit einem Sitz im Nürnberger Stadtrat vertreten und will 2026 auf vier Mandate wachsen.


Die Frage dahinter: Was bringt eine so kleine Wählergruppe – jenseits des wohligen Gefühls, „die eigene Bubble“ im Rathaus zu wissen?


Wer ist die Politbande?

Herkunft aus der freien Kulturszene

Die Politbande (Eigenschreibweise: politbande) ist keine Partei, sondern eine linksgerichtete, überparteiliche Wählergruppe aus Nürnberg. Sie wurde im November 2018 mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 gegründet.


Laut Wikipedia und Eigendarstellung besteht sie aus unabhängig arbeitenden Kunst- und Kulturschaffenden, von denen viele ehrenamtlich in Vereinen der freien Szene organisiert sind.


Auf ihrer Website beschreibt sich die Politbande heute als Verein, der für „eine sozial gerechte, nachhaltige und zukunftsorientierte Kommunalpolitik“ eintritt – mit Schwerpunkten auf soziokulturellen Freiräumen, Klimagerechtigkeit, antifaschistischer und feministischer Stadtpolitik.


Der Verein gibt an, rund 80 Mitglieder zu haben, etwa 60 davon bilden den aktiven Kern in verschiedenen Arbeitskreisen – von Stadtplanung über Soziales bis Migration.


Rechtlicher Status: Verein statt Partei

Formell ist die Politbande ein eingetragener Verein und gleichzeitig eine Wählergruppe („sonstige Vereinigung“). Das ist im bayerischen Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz ausdrücklich vorgesehen: Neben Parteien dürfen sich auch Vereinigungen natürlicher Personen zur Kommunalwahl aufstellen, wenn ihr Ziel die Teilnahme an Gemeinde- oder Landkreiswahlen ist.


Genau darauf verweist auch ein Porträt im Verlag Nürnberger Presse: Die Politbande sei „gar keine Partei“, könne aber dennoch antreten, weil das Gesetz Wählergruppen ausdrücklich zulässt.


Die Entscheidung für die Vereinsform begründet ihr Stadtratsmitglied Ernesto Buholzer Sepúlveda damit, hierarchische Strukturen möglichst flach halten und lokal fokussiert arbeiten zu wollen, ohne Landes- oder Bundesparteiapparate.


Wie stark ist die Politbande – und wer sitzt im Rathaus?

Wahlergebnis 2020

Bei der Nürnberger Stadtratswahl am 15. März 2020 erreichte die Politbande 1,7 Prozent der Stimmen und damit einen von 70 Stadtratssitzen.


Der Nürnberger Stadtrat besteht offiziell aus 70 gewählten Mitgliedern; zusätzlich wird eine Oberbürgermeisterin oder ein Oberbürgermeister gewählt.


Person: Ernesto Buholzer Sepúlveda

Seit 2020 wird die Politbande im Stadtrat von Ernesto Buholzer Sepúlveda vertreten. Ein lokaler Podcast des Bildungszentrums Nürnberg bezeichnet ihn als Vertreter der Politbande im Stadtrat und beschreibt seine Herkunft aus der Subkulturszene.


Im Porträt der Nürnberger Nachrichten wird er als einziger Stadtrat der Politbande geführt, der aktuell in mehreren Ausschüssen sitzt: Kultur, Bau und Vergabe sowie Umwelt; außerdem in der Opernhaus-Kommission.


Was hat die Politbande bisher konkret erreicht?

Einen „Erfolgsbericht“ im Sinne einer wissenschaftlichen Wirkungsevaluation gibt es nicht – weder von der Stadt noch von unabhängigen Forschungsinstituten. Was sich aber belegen lässt, sind drei Ebenen von Wirkung: finanzielle Entscheidungen, Themenagenda und strukturelle Öffnung.


1. Finanzielle Impulse für die freie Szene

In ihrem eigenen Format „Neues aus dem Stadtrat“ dokumentiert die Politbande laufend Stadtratsarbeit. Für Mai 2021 listet sie unter der Überschrift „Antrag angenommen: 100.000 € für freie Kulturszene“.


Daraus lässt sich belegen:

  • Es gab einen Antrag aus ihrem Umfeld zugunsten der freien Kulturszene in Nürnberg.

  • Dieser Antrag wurde nach eigener Darstellung angenommen und mit einem Volumen von 100.000 Euro beziffert.


Ob der Beschluss ausschließlich auf die Politbande zurückgeht oder Teil eines breiteren Bündnisses war, ist aus den frei zugänglichen Quellen nicht eindeutig rekonstruierbar; im städtischen Ratsinformationssystem sind zwar alle Vorlagen dokumentiert, aber nicht systematisch nach Antragsteller*innen ausgewertet.


Belegbar ist also: Die Politbande schreibt sich einen erfolgreichen Antrag zugunsten der freien Kulturszene über 100.000 Euro zu – und verweist darauf in ihrer eigenen Stadtratskommunikation.


2. Themen, die sie sichtbar treibt

Im gleichen News-Archiv dokumentiert die Politbande weitere Schwerpunkte ihrer Stadtratsarbeit seit 2021, etwa:

  • Opernhaus-Debatte: wiederkehrende Kritik und Informationsarbeit rund um die Sanierung des Opernhauses und das Interim auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände.

  • Klimapolitik: Präsenz im Klimacamp, Arbeit zu Klimaschutzfahrplan und Frankenschnellweg, Unterstützung für den Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein, der eine verkehrspolitische Wende weg von der innerstädtischen Autobahn fordert.

  • Queer- und Gleichstellungspolitik: Bezug auf den „Aktionsplan Queeres Nürnberg“ und Aktionen zum 8. März.

  • Erinnerungspolitik & Benennungen: Engagement rund um die Umbenennung des Abdurrahim-Özüdoğru-Parks wird in ihren Stadtrats-News erwähnt.

  • Migration und Ausländerbehörde: In der Rubrik „AK Soziales“ beschreibt die Politbande eine aktuelle Zusammenarbeit mit Migrantifa Nürnberg zur Kritik an Strukturen des Amts für Migration und Integration, die aus ihrer Sicht intransparent und rechtseinschränkend für Migrant*innen seien.


Ein aktuelles Beispiel ist ein schriftlicher Antrag vom Februar 2025 an Oberbürgermeister Marcus König zur Kürzung einer Podcast-Folge des Bildungszentrums: Darin hinterfragt Stadtrat Buholzer Sepúlveda die Streichung von Passagen über die Bezahlkarte für Geflüchtete und die Rolle der Staatskanzlei, und verlangt Aufklärung im Kulturausschuss.


Lesart: Belegbar ist, dass die Politbande kontinuierlich Anträge und Anfragen stellt und damit Themen wie freie Szene, Opernhaus, Klimapolitik, Migration und Antifaschismus in die Stadtratsgremien trägt. Ob sie damit Mehrheiten verändert, ist schwerer messbar – aber sie zwingt Verwaltung und große Fraktionen, sich öffentlich zu positionieren.


3. Strukturelle Öffnung und Transparenz

Auf ihrer Website betont die Politbande, sie stehe für „Transparenz im Nürnberger Stadtrat“ und verweist explizit auf das Ratsinformationssystem der Stadt, wo alle Ausschüsse, Vorlagen und Beschlüsse einsehbar sind.


Zugleich führt sie mehrere eigenständige Projekte als „Ausgründungen“ aus ihrem Umfeld auf, darunter:

  • kulturoasis e.V. – temporäre Freiflächen für nicht-kommerzielle Kulturveranstaltungen, entstanden in der Pandemie.

  • Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein e.V. – Initiative für eine Umgestaltung des Frankenschnellwegs zu einer Wasserlandschaft.

  • Kurage e.V. – Verein zur Kulturraumgewinnung („Freie Räume für eine freie Kunst- und Kulturszene“).


Hier ist belegbar: Die Politbande versteht sich nicht nur als Wahlliste, sondern als Knotenpunkt einer Szene, die Vereine gründet und stadtpolitische Debatten von außen wie von innen befeuert.


Was bringt eine so kleine Wählergruppe im Stadtrat?

Politikwissenschaftliche Perspektive

Kommunalwissenschaftliche Literatur und Analysen der Bundeszentrale für politische Bildung beschreiben kleine Fraktionen und Wählergruppen in Stadt- und Gemeinderäten als doppelt ambivalent:

  • Einerseits fragmentieren sie die Räte und erschweren geschlossene Mehrheiten.

  • Andererseits erweitern sie die Repräsentation lokaler Interessen und sozialer Bewegungen, die in großen Volksparteien oft untergehen.


In Bayern gibt es bei Kommunalwahlen keine Sperrklausel: Schon kleine Stimmenanteile reichen, um in den Rat einzuziehen.


Im Fall der Politbande bedeutet das:

  • Repräsentation: 1,7 Prozent der Wähler*innen – offensichtlich stark aus der freien Kulturszene und progressiven Milieus – haben eine direkte Stimme im Stadtrat.

  • Agenda-Setting: Mit Sitz und Rederecht in mehreren Ausschüssen (Kultur, Bau/Vergabe, Umwelt, Opernhaus-Kommission) kann die Politbande Themen früh in Planungen einbringen, Änderungsanträge formulieren und in der Öffentlichkeit zuspitzen.

  • Kooperation: Für konkrete Beschlüsse ist sie auf wechselnde Mehrheiten angewiesen – gerade bei Haushaltsposten wie den 100.000 Euro für die freie Szene. Dass ihr Antrag laut eigener Darstellung „angenommen“ wurde, zeigt, dass solche punktuellen Allianzen möglich sind.


Praktische Grenzen

Gleichzeitig sind die Grenzen klar:

  • Ohne Fraktionsstärke (mindestens drei Mandate in vielen Kommunen) sind Ressourcen wie Geschäftsstellen, Ausschussvorsitze oder zusätzliche Sitze in Gremien begrenzt.

  • Wahlkämpfe müssen über Spenden und Crowdfunding organisiert werden; die Politbande sammelt für 2026 explizit Geld über eine Startnext-Kampagne, weil ihr als Verein keine reguläre Parteienfinanzierung zusteht.


Der Effekt ist: Die Politbande kann selten allein „durchregieren“, aber sie kann Debatten verschieben, Nischen-Themen aufwerten und in Haushaltsverhandlungen konkrete Verbesserungen für ihre Kernklientel herausholen – im Zweifel als Zünglein an der Waage in knappen Abstimmungen.


Fazit: Kleiner Verein, disproportional laute Stimme?

Belegbar ist:

  • Die Politbande ist eine 2018 gegründete links-progressive Wählergruppe und ein Verein, der aus der freien Kultur- und Subkulturszene Nürnbergs kommt.

  • Sie sitzt seit 2020 mit einem Mandat im Stadtrat, arbeitet in mehreren wichtigen Ausschüssen mit und wurde dort in Debatten um Kultur, Klima, Verkehr, Migration und Erinnerungspolitik sichtbar.

  • Nach eigener Darstellung hat sie unter anderem einen Antrag über 100.000 Euro für die freie Kulturszene durchgebracht und wirkt an Projekten wie kulturoasis und Stadtkanalverein mit, die die Stadtentwicklung konkret beeinflussen.


Ob man das ausreichend findet, hängt politisch vom eigenen Maßstab ab. Klar ist: Ohne Sperrklausel können Wähler*innen in Nürnberg sehr spezifische Interessen ins Rathaus wählen – und im Fall der Politbande ist das die Verbindung von Clubkultur, Klimapolitik und antirassistischer Stadtgesellschaft.


2026 wird sich zeigen, ob aus einem Sitz eine Fraktion wird – oder ob die Politbande weiterhin als einzelner, aber hörbarer Stachel im Fleisch der großen Parteien bleibt.


Quelle Bild: Politbande


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