Kleine Demos, große Wirkung: Wie rechte Mobilisierung Nürnbergs Sicherheitsgefühl verschiebt
- Paul Arzten

- vor 5 Stunden
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Dreißig Menschen, ein paar Banner, viel Polizei – und eine Wirkung, die weit über die Teilnehmerzahl hinausgeht. Am 15. Dezember 2025 versammelten sich in der Nürnberger Altstadt rund 30 Personen unter dem Titel „Deutschland im Würgegriff linksextremer Propaganda“. Ihnen gegenüber standen etwa 150 Gegendemonstrierende. Die Polizei trennte beide Gruppen mit Sperrgittern. Es war keine Massendemonstration, kein Ausnahmezustand. Und doch veränderte der Auftritt etwas im Stadtbild – und im Gefühl der Passantinnen und Passanten.
Der U12‑Podcast von The Nuremberg Times hat diesen Mechanismus nun seziert: Warum kleine, regelmäßige Demonstrationen politisch so wirksam sind, wie sie Narrative verschieben – und weshalb die demokratische Mitte Mühe hat, dem etwas Dauerhaftes entgegenzusetzen.
Wenn die Zahl zweitrangig wird
„Die Anzahl ist gar nicht so wichtig“, sagt Paul Arzten im Gespräch. Entscheidend seien die Botschaften, die hängen bleiben. Begriffe wie „linksextremer Würgegriff“ funktionieren als Reizworte – unabhängig davon, ob sie einer statistischen Realität standhalten. Denn ein Blick auf den Bundestag zeigt: CDU/CSU und AfD stellen aktuell die stärksten politischen Kräfte. Von einer linken Dominanz kann faktisch keine Rede sein.
Doch politische Mobilisierung folgt nicht der Logik von Tabellen. Sie folgt der Logik von Bildern, Schlagworten und Wiederholung. Dreißig Demonstrierende, die jeweils Videos aufnehmen und auf TikTok oder Instagram teilen, können Reichweiten erzeugen, die jede lokale Größenordnung sprengen. Die Demo wird zum Rohmaterial für ein digitales Narrativ – und dieses Narrativ wirkt zurück auf die Stadt.
Polizei, Sperrgitter, Unsicherheit
Gerade in der Vorweihnachtszeit, wenn sich Familien durch die Altstadt bewegen, verstärken massive Polizeipräsenz und Absperrungen ein Gefühl von Bedrohung. Warum ist hier so viel Polizei? Muss ich mich sorgen? Solche Fragen entstehen nicht aus persönlicher Erfahrung, sondern aus Inszenierung.
Hinzu kommt eine politische Rückkopplung: Waffenverbotszonen, mehr Videoüberwachung am Hauptbahnhof, sicherheitspolitische Ankündigungen. Maßnahmen, die objektiv der Prävention dienen sollen, können subjektiv das Gegenteil bewirken. Sie bestätigen das Bild einer Stadt im Ausnahmezustand – und damit indirekt das Narrativ derjenigen, die diesen Ausnahmezustand behaupten.
Statistik gegen Gefühl
Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Nürnberg gilt im bundesweiten Vergleich als eine der sichersten Großstädte seiner Größenordnung. Ja, Sachbeschädigungen wie Graffiti an Bahnanlagen haben 2025 deutlich zugenommen. Allein im Oktober wurden 244 Fälle registrt. Doch das betrifft das Stadtbild, nicht die körperliche Sicherheit der Bevölkerung.
Das Problem: Sicherheitswahrnehmung entsteht nicht aus Kriminalstatistiken. Sie entsteht aus Erzählungen. Und negative Erzählungen klicken besser. „Gute Nachrichten verkaufen sich schlecht“, konstatiert Arzten nüchtern. Auch The Nuremberg Times kennt diesen Mechanismus aus eigener Erfahrung. Beiträge, die die Stadt differenziert oder positiv darstellen, erzielen weniger Reichweite als zugespitzte Negativbilder.
Die stille Schwäche der demokratischen Mitte
Warum also überlassen rechte Gruppen die Straße nicht einfach sich selbst? Warum gelingt es der demokratischen Mitte so selten, regelmäßig eigene Themen zu setzen – jenseits großer Empörungsmomente?
Arztens Diagnose ist unbequem: Die bürgerliche Mitte ist heterogen. Sie diskutiert gern detailliert, ringt um Nuancen, findet schwer einen einfachen gemeinsamen Nenner. Gegen etwas zu mobilisieren ist leichter, als für etwas zu begeistern. Rechte Akteure nutzen diese Asymmetrie konsequent aus.
Dabei gäbe es Gegenbeispiele: Der Christopher Street Day, Initiativen wie „Omas gegen Rechts“, zivilgesellschaftliche Organisationen, die kontinuierlich Präsenz zeigen. Sie erzählen eine andere Geschichte von Stadt – eine von Vielfalt, Sicherheit und Zusammenhalt. Doch diese Erzählung bleibt oft punktuell, nicht ritualisiert.
Ein politisches Stadtbild
Was Nürnberg derzeit erlebt, ist weniger eine Eskalation auf der Straße als eine Verschiebung im Diskurs. Kleine Demonstrationen schaffen es, politische Reaktionen auszulösen, die wiederum neue Bilder produzieren. Ein Kreislauf, der demokratische Kräfte bindet und erschöpft.
Die Alternative liegt nicht im Verbot von Demonstrationen. Sie liegt in Sichtbarkeit. In regelmäßigen, positiven Gegenbildern. In der selbstbewussten Erzählung einer Stadt, die sicher ist, lebenswert – und politisch wach.
Nürnberg muss sich nicht schlechter reden, als es ist. Aber es muss lauter sagen, was es ist.




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