Wenn der rechten Rechten die AfD zu rechts ist – Warum RN, Lega & Co. der AfD den Rücken kehren“
- Kevin Kienle

- 5. Dez.
- 7 Min. Lesezeit
Die europäische Rechte wirkt auf den ersten Blick wie ein Block: migrationsfeindlich, EU-skeptisch, nationalistisch. Auf nationaler Ebene etwa in Deutschland — mit der AfD — oder in Frankreich mit dem Rassemblement National (RN), in Italien mit der Lega oder der Fratelli d’Italia (FdI) — derartige Bewegungen scheinen im Aufwind. Doch bei näherem Blick offenbart sich eine ausgeprägte Heterogenität.
Seit 2024 trennen sich RN und andere europäische Rechtsparteien expressis verbis von der AfD: Vor allem wegen Äußerungen über die Waffen-SS durch einen AfD-Spitzenkandidaten, aber auch wegen strategisch-politischer Erwägungen. Warum? Weil die europäischen Rechten – trotz Überschneidungen – unterschiedliche Grenzen des Sagbaren haben — sowohl moralisch als auch taktisch.
Dieser Artikel untersucht, wie Rechte in Frankreich, Italien und europaweit die AfD sehen — historisch, soziologisch und politisch — und was das über die Fragmentierung der extremen Rechten in Europa aussagt.
Wer war Bündnispartner — und wie kam es zum Bruch?
Nach der Europawahl 2019 bildeten mehrere rechtspopulistische und nationalkonservative Parteien eine gemeinsame Fraktion im Europäischen Parlament: die Identity and Democracy (ID). Diese umfasste u.a. die AfD (Deutschland), RN (Frankreich), Lega (Italien) und weitere rechtspopulistische Parteien aus mehreren EU-Staaten.
Die Idee dahinter war simpel: Gemeinsam konnten sie als Block im EU-Parlament mehr Gewicht gewinnen, ihre parteiübergreifenden Themen — etwa EU-Skepsis, Migrationskritik, nationale Souveränität — bündeln und ihre Wahlaussichten verbessern. Doch der scheinbare Konsens war brüchig — und 2024 kam es zum offenen Zerwürfnis.
Der Bruch mit Frankreich: Warum RN sich von der AfD lossagte
SS-Relativierung als Zäsur
Der unmittelbare Auslöser für den Bruch war ein Interview des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl 2024, Maximilian Krah. Im Gespräch mit der italienischen Zeitung La Repubblica sagte Krah, nicht alle Mitglieder der nationalsozialistischen Waffen-SS seien zwangsläufig Verbrecher gewesen. Er argumentierte: Unter den 900.000 SS-Mitgliedern gebe es „auch viele Bauern“; es habe „sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen gegeben, aber nicht alle“.
Diese Aussagen stießen in Frankreich und im EU-Parlament auf breite Empörung. Plötzlich war aus einer pragmatischen Kooperation ein Alarmsignal geworden. Für das RN war klar: Der AfD war eine rote Linie überschritten. So kündigte der Wahlkampfleiter des RN-Spitzenkandidaten an: „Wir werden in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr mit ihnen zusammensitzen.“
Kurz darauf beschloss die ID-Fraktion offiziell, die deutschen AfD-Abgeordneten mit „sofortiger Wirkung“ auszuschließen.
Strategie, Image und Wählbarkeit
Hinter dem Bruch steckte aber nicht nur Empörung über historische Relativierung — auch strategische Überlegungen spielten eine große Rolle. Für RN und seine Führung war der AfD-Ballast längst ein Problem: Die Verbindungen zu neonationalistischen Strömungen, „Remigrations“-Plänen oder fragwürdigen Allianzen mit Rechtsextremen – etwa Berichte über ein Treffen 2023 in Potsdam – hatten dem RN politisch geschadet.
Das RN versucht seit Jahren, sein Profil als wählbare, „salonfähige“ Rechtspartei zu festigen – mit Blick auf mögliche Regierungsoptionen. Anknüpfungspunkte mit der AfD waren zwar vorhanden (z. B. Migrationskritik, EU-Skepsis), doch die AfD war für RN schlicht zu radikal: „Der Unterschied liegt besonders in ihrem Verhältnis zu Russland, aber auch darin, wie unbequem und riskant ihre politischen Partner sind“, analysierte ein Bericht.
Für RN war die Distanzierung also ein Signal: Hier ist Schluss mit dem radikalen rechten Lager — zumindest für jetzt.
Ein markantes Originalzitat des RN-Führers:
„I confirm that we will no longer sit together. The AfD has crossed red lines.“— Jordan Bardella im französischen Fernsehen, Mai 2024
Italien und darüber hinaus: Warum andere rechte Bewegungen Vorsicht walten lassen — oder die AfD meiden
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass der Bruch mit der AfD nicht nur ein Pariser, sondern ein europaweites Signal war. Gemäß der Analyse des Think-Tanks Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) war die erste Legislaturperiode der ID-Fraktion von 2019 bis 2024 von relativer Kooperation geprägt — doch bereits vor der Europawahl 2024 zeichnete sich eine Neuordnung ab: Die europäischen Rechten begannen sich neu auszurichten — auf Basis ihres Pragmatismus, strategischer Opportunität und historischer Ängste.
So erklärten etwa die führenden Kräfte in der italienischen Lega (oft verbunden mit der FdI) indirekt, sie könnten nicht länger mit einem politisch hochbelasteten Partner wie der AfD agieren — vor allem wenn diese sich selbst ständig im Bereich der historischen Relativierung oder radikaler Forderungen bewege.
Auch der strukturelle Wandel innerhalb des Europaparlaments spielte eine Rolle: Nach dem Ausschluss der AfD aus der ID entstand ein neues Kräftefeld — mit der Auflösung der alten Fraktion, der Gründung neuer Bündnisse und damit einer Neujustierung rechter Allianzen.
Obwohl konkrete öffentliche Gratulationen für die AfD aus Italien selten sind — und deshalb Originalzitate fehlen — ist strukturell klar: Für viele rechte Parteien dort lohnt eine Verbindung mit der AfD nicht mehr: zu riskant, zu extremistisch, zu image-schädigend.
Historische Perspektive: Rechte in Europa — Gemeinsamkeiten, Divergenzen, Entwicklungen
Um zu verstehen, warum trotz ähnlicher Themen zumindest zeitweise Koalitionen möglich waren — und warum sie nun zerfallen — lohnt ein Blick auf die historische Entwicklung rechter Parteien und Bewegungen in Deutschland, Frankreich, Italien und Europa.
In Deutschland ist die AfD relativ jung (gegründet 2013) und entwickelte sich aus eurokritischen und wirtschaftsliberalen Wurzeln, später mit Schwerpunkt auf Migration, Identität und Islamkritik. Im Unterschied zu klassischen rechtsradikalen oder neonazistischen Parteien präsentierte sie sich zunächst als „bürgerlich-konservativ“. Ìhre Radikalisierung, auch in Richtung revisionistischer und nationalistischer Positionen, erfolgte graduell.
In Frankreich hat RN seine Wurzeln in einer langen Tradition rechtsextremer und nationalkonservativer Bewegungen. Doch seit den 2010er-Jahren versucht RN – insbesondere unter Marine Le Pen – ein gemäßigteres, wählbares Image zu entwickeln: weg vom offenen Faschismus, hin zu einer harten aber parlamentarisch arbeitenden Rechtspartei. Deren Geschichts- und Selbstverständnis – etwa im Umgang mit der Nazi-Besatzung und den Konsequenzen daraus – unterscheidet sich elementar von dem radikalen Revisionismus einzelner Parteien.
In Italien und anderen Staaten ist nationale Rechte oft durch postfaschistische Traditionen, Regionalismus, manchmal aber auch durch pragmatischen Nationalismus geprägt. Dort zeigt sich seit Jahrzehnten eine gewisse Bereitschaft zu Koalitionen mit konservativen wie auch mit populistischen Kräften – doch eine Allianz mit einer Partei wie der AfD könnte Imageschaden bedeuten.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum 2019 die Gründung einer gemeinsamen EU-Fraktion möglich war — und warum 2024 der Zerfall erfolgte: Die historischen Erfahrungen, Erinnerungskulturen, strategischen Ziele und öffentlichen Wahrnehmungen unterscheiden sich, teils fundamental.
Soziologische Dimension: Warum bestimmte Rechte die AfD meiden — und was das über Gesellschaften aussagt
Die Frage, warum Rechte sich voneinander abgrenzen — obwohl sie ähnliche Themen adressieren —, ist weniger eine Frage von Programmatik als eine von sozialer Legitimität, öffentlicher Wahrnehmung und politischem Kapital. Folgende Faktoren spielen eine Rolle:
Legitimationsdruck und Wählbarkeit: Parteien wie RN oder Lega/FdI streben zunehmend Regierungsfähigkeit an. Um in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert zu werden, müssen sie sich von extremistischen Rändern distanzieren. Eine Allianz mit der AfD (oder mit Akteuren, die Geschichtsrevisionismus betreiben) würde dieses Ziel gefährden.
Erinnerungskultur und nationale Vergangenheit: Besonders in Frankreich und Italien — Staaten mit starker historischer Belastung durch Faschismus und Zweiten Weltkrieg — sind Aussagen wie jene von Krah gesellschaftlich und politisch leichter stigmatisiert. Wer sich dort auf gemeinsame Plattformen mit solchen Akteuren begibt, riskiert sozialen und politischen Ausschluss.
Interne Diversität rechter Wählerschaft: Nicht alle Wähler rechter Parteien sind gleich — es gibt gemäßigte Nationalisten, wirtschafts- oder sozialkonservative Bürger, aber auch radikale Neonazis. Politische Parteien stehen vor der Herausforderung, ihre Basis zu halten und zugleich neue Wähler zu gewinnen — und müssen daher sorgfältig abwägen, mit wem sie kooperieren.
Strategische Interessen und Außenpolitik: Gerade im Kontext von EU, Ukraine-Krieg, Energiepolitik und geopolitischen Spannungen zeigen sich unterschiedliche außen- und sicherheitspolitische Interessen. Für viele rechte Parteien sind pragmatische nationale Interessen wichtiger als ein ideologisches Bündnis mit gleichgesinnten Extremen. Die AfD mit ihrem teils pro-russischen Kurs etwa kann da zum Risiko werden.
All das zeigt: Rechte Parteien sind soziale und politische Akteure — sie agieren nicht nur nach Ideologie, sondern mit Blick auf Wähler:innen, Legitimität, Öffentlichkeit und Strategie. Kooperationen sind daher stets kalkulierte Bündnisse — und brechen, wenn die Risiken überwiegen.
Zukunftsperspektiven: Wohin steuert der europäische Rechteblock?
Was bedeutet der Bruch von 2024 für die Zukunft der AfD — und für die rechte Szene in Europa? Einige Szenarien und Überlegungen:
Neue Bündnisse, neue Fraktionen — aber fragmentierter denn je
Der Bruch mit RN hat gezeigt, dass eine dauerhafte, stabile Fraktion mit Parteien aus verschiedenen Ländern schwer zu halten ist. Tatsächlich entstanden nach der Europawahl 2024 neue Gruppierungen: Das frühe ID-Bündnis zerbrach, und die AfD suchte nach neuen Partnern. Berichten zufolge gründete sich eine kleine neue Gruppe — Europa der Souveränen Nationen — mit Beteiligung der AfD und weiterer rechtspopulistischer Parteien. Doch diese Gruppen sind deutlich instabiler, heterogener und werden von parteiübergreifenden Differenzen geprägt sein.
Verstärkter innenpolitischer Druck auf die Afd
Die Distanzierung durch internationale Partner kann innenpolitisch als Signal wirken: Eine politische Isolation im EU-Kontext reduziert Einfluss, Ressourcen und Legitimität. Das könnte die AfD zwingen, radikale Töne zu mäßigen — oder weiter in Richtung Rand zu driftieren. Beides birgt politische Kosten.
Schärfere Trennung zwischen radikalen und gemäßigten Rechten auf EU-Ebene
Die politischen und historischen Gräben — etwa Erinnerungskultur, Haltung zu Russland, Außenpolitik, Migrationsfragen — dürften künftig zentrale Trennlinien zwischen rechts-populistischen, nationalkonservativen und rechtsextremen Kräften in Europa sein. Vielleicht bildet sich eine klare Teilung:
Politiker:innen mit Regierungsambitionen (mittelschichtig, strategisch, pragmatisch) vs.
Akteure, die radikal bleiben — mit neonationalistischen, geschichtsrevisionistischen, identitären Programmen.
Risiko für demokratische Stabilität — aber auch Chancen für klare Abgrenzungen
Die Fragmentierung reduziert zwar die Gefahr eines einheitlichen „rechten Blocks“ — aber sie schafft zugleich viele kleine, unübersichtliche Gruppen. Das macht Kontrolle, Analyse und Überwachung komplexer. Andererseits wird durch klare Abgrenzungen zwischen moderaten und extremistischen Rechten der demokratische Diskurs vielleicht transparenter — wer mit wem, warum und mit welchen Zielen.
Warum der aktuelle Bruch mehr ist als ein politisches Zerwürfnis — seine Bedeutung
Der Ausschluss der AfD aus der gemeinsamen Fraktion im Europaparlament im Jahr 2024 war kein rein taktisches Manöver — sondern ein Signal: Auch innerhalb der europäischen Rechten existieren Grenzen des Sagbaren und des Bündelns. Radikalität, historische Verharmlosung und imageschädigende Nähe zu extremistischen Rändern können selbst für Rechte zu einem Ausschlusskriterium werden.
Für Demokrat:innen, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit bedeutet das: Die Gefahr liegt nicht nur in organisierten Bündnissen — sondern auch in der Fragmentierung, der Tarnung extremer Ideologien in kleineren Gruppen, der Neuformation unter neuen Namen. Die Aufgabe bleibt, aufmerksam zu beobachten, kritisch zu unterscheiden — und nicht alle rechten Parteien über einen Kamm zu scheren.
Fazit
Der europäische Rechtsrutsch ist keine homogene Bewegung — und das zerplatzende Traumbündnis mit der AfD bringt es deutlich zum Ausdruck. Dass selbst rechte und rechtspopulistische Parteien wie RN oder Lega sich von der AfD abwenden, zeigt: Es gibt Grenzen — moralisch, politisch, strategisch.
Dieser Bruch enthüllt zugleich eine neue Phase: Der Versuch, ein respektables, wählbares, nationalkonservatives Profil jenseits des radikalen Randes zu etablieren. Aber diese neue Konstellation ist fragil. Die Fragmentierung der Rechten macht sie schwerer durchschaubar — und birgt Risiken für demokratische Transparenz und Kontrolle.
Für uns heißt das: Wir müssen rechten Parteien weiterhin mit differenzierter Aufmerksamkeit begegnen — und klar benennen, wo Kooperation endet und Radikalität beginnt.




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