top of page

Warum Nürnberg besser ist als seine Kommentarspalten

Nürnberg ist hässlich – dieser Satz fällt inzwischen erstaunlich routiniert in TikTok-Kommentaren, unter Clips über die Stadt und sogar unter dem Christkindlesmarkt. Im Podcast U12 von The Nuremberg Times nehmen Kevin Kienle und Paul Arzten diese Behauptung auseinander: nicht defensiv, sondern mit einem klaren Punkt. Wer Nürnberg auf ein paar graue Verkehrsschneisen reduziert, verwechselt Durchfahrt mit Stadt. 


Gleich zu Beginn benennen die beiden, was die Social-Media-Debatte antreibt: eine Mischung aus Schnellurteilen, Negativtrend und dem Blick auf „unspektakuläre“ Orte wie Hauptverkehrsachsen oder Baustellen – Plätze, die in jeder Großstadt existieren und trotzdem selten das sind, wofür Menschen wirklich anreisen oder dort leben. Nürnberg, so die These, wird in der App oft so betrachtet, als sei die hässlichste Ecke das ganze Bild. 


Schönheit als Kurzvideo: Warum TikTok Städte schlechter aussehen lässt

TikTok funktioniert über Zuspitzung: „hässlich“ triggert, „komplex“ nicht. Genau da setzen Kienle und Arzten an. Sie halten dagegen: Nürnberg sei – gemessen an Größe und urbanem Angebot – eine der schönsten Großstädte Deutschlands und spürbar attraktiv, was sich auch an Besucherzahlen und touristischer Zugkraft zeige.


Die entscheidende Unterscheidung lautet:

  • Transit-Orte (Ring, Ausfallstraßen, Knotenpunkte) wirken selten einladend.

  • Stadt-Orte (Altstadt, Plätze, Kulturorte, Parks, Ufer, Märkte) sind das, was Atmosphäre erzeugt.


Wer Nürnberg nur aus dem Auto, vom Bahnhofsvorplatz oder aus dem „schnell durch“-Blick kennt, bekommt eine andere Stadt als jemand, der sie zu Fuß erlebt. 


Altstadt mit Substanz: Historie, Dichte, kurze Wege

Wenn die beiden Nürnberg verteidigen, dann nicht mit Postkartenkitsch, sondern mit einer konkreten Liste urbaner Qualitäten: Hauptmarkt, Burg, Kirchen, historische Gebäude, verwinkelte Gassen, Dutzendteich, Grün und Naherholung – plus die kulturelle Infrastruktur aus Museen und Theater. Das ergibt eine seltene Mischung aus Natur, Historie und urbanem Feeling auf engem Raum. 


Ein starkes Argument ist dabei die Alltags-Regionalität: der Wochenmarkt am Hauptmarkt mit Erzeugnissen aus dem Knoblauchsland – mitten in der Stadt, nicht als Wochenend-Event am Rand. Das ist keine touristische Kulisse, sondern ein funktionierender Stadtbaustein. 


Das eigentliche Problem ist nicht „hässlich“ – sondern: Leerstand, Kettenlogik, fehlende Jugendräume

So eindeutig ihr Widerspruch zur „hässlich“-These ist: Beide blenden Schwächen nicht aus. Sie sprechen über Leerstand und Entwicklungsschmerzen (u. a. in der Breiten Gasse) und über die Frage, wie Innenstadt funktioniert, wenn Einzelhandel ins Digitale abwandert. Wichtig: Nürnberg probiere Konzepte aus – und das sei besser, als den Status quo zu verwalten. 


Am spannendsten ist die gesellschaftliche Verschiebung, die Arzten anspricht: Für Jugendliche gebe es zu wenige Räume, die nicht an Konsum gekoppelt sind – nicht Kaufen, nicht Essen, nicht „drinnen gegen Geld“. Das ist keine Nürnberg-spezifische Krise, aber in der TikTok-Perspektive wird sie zur Ästhetikfrage umgedeutet: „Hier ist nichts für mich“ wird zu „Diese Stadt ist hässlich“. 


Weg von Ketten, hin zu Charakter: Warum Cafés plötzlich Stadtpolitik sind

Beide plädieren für eine Altstadt, die wieder zum Verweilen einlädt – „flanieren“, wie es im Gespräch heißt. Und plötzlich landen sie bei einem Thema, das im Jahr 2025 längst mehr ist als Lifestyle: inhabergeführte Cafés und Läden als Gegengewicht zur Ketten-Monokultur. „Wir brauchen keine drei H&M’s“ – die Pointe dahinter ist ernst: Vielfalt erzeugt Identität, Identität erzeugt Bindung. 


Zum Schluss wird es sehr praktisch: Die Hosts nennen Lieblingsorte – als Einladung an Skeptiker, Nürnberg nicht im Feed, sondern im Gehen kennenzulernen. Genannt werden u. a. Café PiquéBrasserie NITZCafé KumoEssentials Café (Nonnengasse)Café Oi (Königstraße) sowie Buchhandlung Jakob; Arzten erwähnt außerdem Pinsano und augenzwinkernd Pizza Hut (All-you-can-eat)


Ein fairer Satz zum Schluss

„Nürnberg ist hässlich“ ist als Urteil zu grob, um wahr zu sein. Was es gibt: Stellen, die nach Jahren der Autologik, Nachkriegsbrüche und Einkaufsstraßen-Routine zu wenig Wärme ausstrahlen. Und es gibt eine Innenstadt, die sich – wie fast überall – neu erfinden muss. Aber wer daraus eine pauschale Hässlichkeit konstruiert, übergeht genau das, was Nürnberg stark macht: Dichte, Geschichte, Kultur, kurze Wege – und ein Stadtkern, der mehr kann als Weihnachtsromantik. 


Kommentare


bottom of page