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„Einigung im Ringen um die Hallerwiese“ – was jetzt konkret geplant ist

Nach monatelangen Verhandlungen steht der Rahmen: Die Klinik Hallerwiese mit der Cnopfschen Kinderklinik in St. Johannis soll zum 1. Januar 2027 an das kommunale Klinikum Nürnberg übergehen. Zuvor soll das Klinikum bereits ab Anfang 2026 in Betrieb und Leitung eingreifen, um den Übergang gemeinsam mit dem bisherigen Träger Diakoneo vorzubereiten.


Ganz durch ist der Deal allerdings noch nicht:

  • Im Dezember 2025 konnten laut Stadt „fast alle schwierigen rechtlichen und finanziellen Fragen“ geklärt werden.

  • Offen ist das Sanierungsgutachten für Diakoneo. Erst wenn dieses positiv ausfällt, kann der Stadtrat im Januar 2026 über die notwendigen finanziellen Absicherungen für das Klinikum entscheiden.

  • Über die Konditionen – also etwa Kaufpreis, Verlustübernahmen oder Investitionszusagen – wurde Stillschweigen vereinbart.


Die Dimension: Die Hallerwiese-Cnopfsche bringt 265 Betten und rund 900 Beschäftigte in den Verbund ein. Für Nürnbergs Gesundheitslandschaft ist das kein Randstandort, sondern ein Schwergewicht – vor allem in Geburtshilfe und Kindermedizin.


Sowohl Stadt als auch Freistaat Bayern haben den Prozess eng begleitet – mit dem erklärten Ziel, der Klinik in St. Johannis eine dauerhafte Perspektive zu sichern und gleichzeitig die Versorgung in der Region zu stabilisieren.


Mit der Übernahme könnten künftig die Frauenklinik des Klinikums und die Geburtsabteilung der Hallerwiese enger zusammenrücken – die Stadt spricht davon, dass so eine der größten Geburtskliniken Deutschlands und einer der größten Versorger in der Kinder- und Jugendmedizin entstehen soll.


Warum die Übernahme zunächst wie eine gute Nachricht klingt

1. Versorgungssicherheit in Geburtshilfe und Kindermedizin

Die Zahlen zeigen, wie zentral beide Häuser bereits heute sind:

  • Sowohl die Hallerwiese-Cnopfsche Kinderklinik als auch das Klinikum Nürnberg betreuen jeweils rund 3.000 Geburten pro Jahr.

  • Beide verfügen über Perinatalzentren der höchsten Versorgungsstufe (Level 1) – also spezialisiert auch für Risikoschwangerschaften und Frühgeborene.

  • In Neonatologie, Kinderchirurgie und Pädiatrie behandeln beide Häuser jeweils rund 7.000 stationäre Patient*innen pro Jahr.


Eine Schließung oder ein Verkauf an einen renditeorientierten privaten Konzern hätte die Versorgungslandschaft der gesamten Metropolregion erschüttert. Dass sich Stadt und Klinikum nun auf eine kommunale Lösung verständigt haben, ist deshalb zunächst ein klares Signal: Die Geburtshilfe und Kindermedizin in Nürnberg sollen im gemeinwohlorientierten Bereich bleiben.


Gerade vor dem Hintergrund der laufenden Krankenhausreform, die kleinere Häuser und spezialisierte Bereiche unter starken wirtschaftlichen Druck setzt, verschafft die Integration der Hallerwiese-Cnopfschen in einen großen kommunalen Verbund ihren „bedarfsnotwendigen medizinischen Angeboten“ eine belastbare Zukunftsperspektive.


2. Bündelung von Expertise – und Chance auf ein Perinatalzentrum aus einem Guss

Mit der Übernahme würden zwei bereits heute leistungsstarke Standorte unter einem organisatorischen Dach verbunden:

  • Die Hallerwiese-Cnopfsche Kinderklinik mit Geburtshilfe, Neonatologie, Pädiatrie und Kinderchirurgie,

  • das Klinikum Nürnberg als Maximalversorger mit eigenem Perinatalzentrum, Kinderkliniken und breitem Erwachsenen-Spektrum.


Das eröffnet die Möglichkeit, Versorgungsketten aus einem Guss zu organisieren – von der normalen Geburt über Hochrisikoschwangerschaften bis hin zu komplexen kindermedizinischen Eingriffen.


Dienstpläne, Rufbereitschaften und Notfallversorgung könnten gemeinsam geplant werden. In einem System, das chronisch unter Personalmangel leidet, ist das mehr als ein organisatorisches Detail: Es kann darüber entscheiden, ob Dienste verlässlich abgedeckt werden – oder Stationen zeitweise schließen müssen.


3. Breites Leistungsangebot bleibt in der Stadt

Die Hallerwiese-Cnopfsche ist nicht „nur“ Geburts- und Kinderklinik. Auf dem Gelände werden auch erwachsene Patient*innen in Allgemein- und Viszeralchirurgie, Gynäkologie, Innerer Medizin/Gastroenterologie sowie Anästhesie und Intensivmedizin versorgt.


Die Übernahme sichert also nicht nur die Kreißsäle und Kinderstationen, sondern ein breites klinisches Spektrum mitten in der Nordstadt – inklusive der Option, innerklinische Wege zwischen Mutter, Neugeborenem und ggf. intensivpflichtigen Erwachsenen kurz zu halten.


4. Kein Finanzinvestor, keine Zerschlagung

Bundesweit sehen wir, wie angeschlagene Kliniken an Ketten oder Private-Equity-Fonds gehen – mit spürbaren Folgen für Personal, Löhne und Leistungsangebot. Dass Nürnberg diesen Weg ausdrücklich nicht gegangen ist, ist ein politisches Statement: Gesundheit als kommunale Daseinsvorsorge, nicht als Anlageklasse.


Für viele Beschäftigte und Patient*innen ist allein diese Klarheit ein wichtiges Signal – gerade in einer Phase, in der Diakoneo mit einem umfassenden Transformationsprozess und der Trennung von mehreren Kliniken Schlagzeilen macht.


Die Schattenseiten: Konzentration, Kosten, Konflikte

Bei aller Erleichterung: Die geplante Großfusion ist kein Selbstläufer – weder finanziell noch strukturell.


1. Finanzielle Risiken – und ein doppeltes Bauprojekt

Die offizielle Darstellung ist freundlich formuliert: Stadt, Klinikum und Diakoneo „leisten jeweils einen wesentlichen Beitrag“, um die Hallerwiese-Cnopfsche „nachhaltig erfolgreich weiterzuentwickeln“. Dahinter steckt übersetzt: Es wird teuer – und zwar für alle Beteiligten.


Offen bleiben entscheidende Fragen:

  • Welcher Teil der bestehenden Defizite wird vom Klinikum bzw. letztlich von der Stadt mitgetragen?

  • Wie hoch ist der Kaufpreis für Gebäude und Infrastruktur?

  • Welche zusätzlichen Investitionen in Digitalisierung, Personal und Medizintechnik werden notwendig?


Zusätzlich brisant: Es laufen zwei große Bauprojekte parallel:

  1. Der Neubau der Klinik Hallerwiese-Cnopfschen Kinderklinik auf dem bisherigen Areal, den Diakoneo fertigstellt und den das Klinikum anschließend übernimmt.

  2. Das Klinikum Nürnberg baut auf seinem Campus Süd ein neues Kinderklinikum, in das die drei Kliniken für Neugeborene, Kinder und Jugendliche zusammen mit der Geburtshilfe im Frühjahr 2027 umziehen sollen


Kurz gesagt: Nürnberg finanziert und betreibt bald zwei hochmoderne kinder- und geburtsmedizinische Standorte, die zeitlich nah beieinander fertig werden.

Das kann eine enorme Chance sein – oder ein Lehrbuchbeispiel für teure Doppelstrukturen. Kritische Fragen, die sich hier stellen:

  • Wie lange werden Geburtshilfe und Kindermedizin tatsächlich in St. Johannis bleiben, wenn ab 2027 am Campus Süd ein neuer Schwerpunkt entsteht?

  • Besteht die Gefahr, dass der brandneue Hallerwiesen-Neubau in Teilen zum Luxus-„Anhängsel“ wird – mit entsprechendem Kostendruck?


2. Machtkonzentration im kommunalen Monopol

Mit der Integration der Hallerwiese-Cnopfschen entsteht faktisch ein kommunales Monopol in der stationären Geburtshilfe und weiten Teilen der Kindermedizin in Nürnberg.

Das kann betriebswirtschaftlich helfen – Doppelangebote kosten Geld. Es birgt aber Risiken:

  • Die Wahlfreiheit für werdende Eltern sinkt.

  • Der Qualitätsdruck durch Wettbewerb nimmt ab.

  • Niedergelassene Ärztinnen, Belegärztinnen und freiberufliche Hebammen sind stärker von einem einzelnen Verbund abhängig.


Die Stadt verkauft die Fusion verständlicherweise als Lösung im Sinne der Versorgungssicherheit. Politisch wird sie sich aber daran messen lassen müssen, ob der entstehende Gigant tatsächlich mehr Qualität und Zugänglichkeit liefert – oder vor allem betriebswirtschaftlichen Zwängen folgt.


3. Klinikum Nürnberg als „Riese mit Zusatzlast“

Schon heute ist das Klinikum Nürnberg eines der größten kommunalen Häuser Deutschlands: 2.233 Betten, 8.400 Beschäftigte, rund 335.000 stationäre und ambulante Patient*innen jährlich; dazu gehören zwei weitere Kreiskrankenhäuser im Nürnberger Land.


Mit der Hallerwiese-Cnopfschen kommen weitere Betten, Leistungsbereiche und fast tausend Beschäftigte hinzu – in einer Phase, in der die gesamte Kliniklandschaft unter steigenden Kosten, Fachkräftemangel und unsicheren Förderstrukturen ächzt.

Die eigentliche Frage lautet also:

Kann das Klinikum Nürnberg diese zusätzliche Last strukturiert integrieren – oder wird die Hallerwiese eher zur Dauerbaustelle im Konzern, die Ressourcen bindet, ohne ihre Stärken voll auszuspielen?

4. Was bedeutet der Deal für die Beschäftigten?

Offiziell betonen alle Beteiligten, man wolle gemeinsam eine tragfähige Zukunft entwickeln. Doch für die rund 900 Beschäftigten in St. Johannis ist noch vieles unklar:

  • Bleiben alle Arbeitsplätze langfristig erhalten – auch nach dem Umzug wesentlicher Bereiche an den Campus Süd?

  • Welche Tarifstruktur gilt künftig – und wie werden bisherige diakonische Regelungen in den kommunalen Verbund integriert?

  • Wie werden traditionelle Belegarzt-Strukturen in der Hallerwiese in ein kommunales Haus mit stärker angestelltenorientierten Strukturen eingepasst?


Fusionen scheitern selten an PowerPoint-Konzepten, sondern an Kulturen, die nicht zusammenfinden: diakonischer Träger, belegärztliche Prägung hier – kommunaler Maximalversorger dort.


5. Stadtentwicklung: Was passiert mit dem Standort St. Johannis?

Die Hallerwiese liegt prominent im Stadtteil St. Johannis, direkt am Pegnitzgrund – Luftbilder zeigen, wie eng der Klinikkomplex mit dem dicht bebauten Quartier verwoben ist.

Auch städtebaulich stellen sich Fragen:

  • Wie wird der neue Hallerwiesen-Bau in das Quartier integriert, wenn gleichzeitig Teile der Kindermedizin perspektivisch zum Campus Süd ziehen?

  • Welche Rolle spielt das Haus künftig: vollwertiger Klinikstandort, spezialisierter Schwerpunkt oder irgendwann vor allem ambulantes Zentrum?

  • Werden Anwohner*innen und Stadtgesellschaft in diese strategischen Weichenstellungen einbezogen – oder bleiben sie interne Klinikpolitik?


Die emotionale Dimension ist nicht zu unterschätzen: Viele Nürnberger*innen verbinden mit „ihrer“ Hallerwiese die Geburt der eigenen Kinder. Ein möglicher späterer Funktionswandel des Standorts wäre nicht nur ein organisatorisches, sondern auch ein symbolisches Ereignis.


Politische Dimension: Zwischen Bundesreform und kommunaler Verantwortung

Die Einigung zur Hallerwiese ist auch ein Beispiel dafür, wie bundes- und landespolitische Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene aufschlagen.


Die laufende Krankenhausreform soll Überkapazitäten abbauen und Strukturen bündeln. In der Praxis bedeutet das oft: kleinere Träger geraten in Schieflage, große Verbünde gewinnen an Bedeutung. Diakoneos Entscheidung, sich von Kliniken zu trennen, ist kein isoliertes Ereignis – sondern ein Symptom dieses Systems.


Wenn am Ende die Stadt quasi als „Retterin letzter Instanz“ einspringt, um eine Kinderklinik zu sichern, ist das politisch nachvollziehbar – kaum jemand möchte sich eine Schließung zuschreiben lassen. Aber:

  • Kommunen haben begrenzte Haushaltsmittel.

  • Die Finanzierungslogik der Krankenhäuser wird wesentlich in Berlin und München entschieden.


Die Übernahme der Hallerwiese-Cnopfschen macht das Klinikum Nürnberg und die Stadt noch abhängiger von diesen Entscheidungen – ohne dass klar wäre, ob die kommenden Reformschritte die kommunalen Großversorger wirklich dauerhaft entlasten.


Was jetzt wichtig wäre: Transparenz, Beteiligung, klare Ziele

Die grobe Linie steht, doch die entscheidenden Details sind offen. Drei Punkte sind aus Sicht der Stadtgesellschaft zentral:

  1. Transparenz über die finanziellen Rahmenbedingungen

    Bürger*innen haben ein legitimes Interesse daran zu wissen,

    • in welcher Größenordnung die Stadt das Klinikum absichert,

    • welche Alternativen geprüft wurden,

    • wie sich die parallelen Neubauten in St. Johannis und am Campus Süd langfristig rechnen sollen.

  2. Beteiligung von Beschäftigten, Eltern, Stadtteilinitiativen

    Wer auf der Station arbeitet oder sein Kind dort zur Welt bringt, kennt die Stärken und Schwachstellen des Systems. Diese Perspektiven sollten in Fusionsplanung, Standortentscheidungen und die Ausgestaltung des neuen Doppelstandorts systematisch einfließen – nicht nur in Form von Informationsveranstaltungen, sondern als echte Mitgestaltung.

  3. Klare medizinische Strategie statt reiner Struktursicherung

    Eine der größten Geburtskliniken und Kinderzentren Deutschlands zu werden, ist kein Wert an sich. Entscheidend ist,

    • ob Qualität, Erreichbarkeit und Menschlichkeit der Versorgung besser werden,

    • wie auf Fachkräftemangel reagiert wird,

    • und ob der entstehende Verbund auch für komplexe Fälle in der Metropolregion wirklich ein Gewinn ist.


Fazit: Große Chance mit Risikoaufschlag

Die geplante Übernahme der Klinik Hallerwiese-Cnopfschen Kinderklinik durch das Klinikum Nürnberg ist für die Stadt eine große Chance – und ein ebenso großer Stresstest.

Positiv ist:

  • Die hochspezialisierte Versorgung von Schwangeren, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen bleibt in öffentlicher Hand.

  • Mit der Bündelung zweier Level-1-Perinatalzentren und großer pädiatrischer Einheiten entsteht ein medizinischer Schwergewichtstandort, der über die Stadt hinaus ausstrahlen kann.

  • Ein Verkauf an private Klinikketten wird vermieden.


Kritisch bleibt:

  • Die finanziellen Lasten – inklusive paralleler Neubauten – sind enorm und nur in Ausschnitten transparent.

  • Die entstehende Marktmacht des Klinikums muss politisch kontrolliert und qualitativ flankiert werden.

  • Für Beschäftigte, Stadtteil und langfristige Struktur der Standorte bleiben viele Fragen offen.


Ob die Hallerwiese unter dem Dach des Klinikums zu einem Leuchtturm der Geburtshilfe und Kindermedizin wird – oder zu einem Symbol dafür, wie Kommunen im Schatten der Krankenhausreform um ihre Kliniken kämpfen, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden: im Stadtrat, auf den Stationen und in den Erfahrungen der Familien, die dort behandelt werden.


Quelle Bild: Stadt Nürnberg

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