Trump, Druck, Drohnen – wie die USA innen zerfasern und außen eskalieren
- Gagandeep Singh (Romy)

- vor 3 Tagen
- 6 Min. Lesezeit
Ein Jahr Trump 2.0: Im Podcast „Servus USA“ zeichnen Kevin Kienle und Romy ein Bild eines Landes, das innenpolitisch im Kulturkampf versinkt – und außenpolitisch bereit ist, rote Linien zu verschieben.
Ein System ohne Widerspruch: Der Fall Marjorie Taylor Greene
Am Anfang steht ein Rücktritt, der mehr ist als eine Personalie: Marjorie Taylor Greene, kurz MTG, eine der lautesten Trump-Unterstützerinnen im Repräsentantenhaus und einst Galionsfigur der QAnon-Szene, zieht sich zurück. Im Podcast deuten Kevin Kienle und Romy diesen Schritt als Symptom einer inneren Erosion im Trump-Lager – und zugleich als Beleg dafür, wie geschlossen dieses System inzwischen funktioniert.
Greene hatte sich zur prominenten Fürsprecherin für die Veröffentlichung der sogenannten Epstein-Files gemacht – aus einer dezidiert republikanisch-konservativen Perspektive und mit dem Argument des Frauenschutzes. Genau das, so die Analyse, habe sie ins Abseits manövriert: Wer sich im innersten Kreis gegen die Schutzinteressen Trumps stellt oder auch nur eigene Prioritäten setzt, verliert Rückhalt – und im Zweifel die Karriere.
Romy beschreibt zwei Ebenen dieses Falls:
Ein Lager ohne Pluralität: Innerhalb der Republikaner sei kein Platz mehr für abweichende Stimmen – entscheidend sei allein Loyalität zu Trump.
Die Öffentlichkeit im Empörungs-Takt: Kurzzeitige Skandale rund um Epstein, Sexismus oder Korruption flammen auf – um dann von der nächsten Schlagzeile verdrängt zu werden.
Trump selbst hat dieses Prinzip früh offen benannt: Wer permanent neue Themen produziert, überfordert Medien und Öffentlichkeit – und entwertet damit jeden Skandal. Kevin fasst es so zusammen: „Große Themen verlieren an Aufmerksamkeit, weil niemand mehr hinterherkommt.“
„Quiet piggy“ und das eingehegte Entsetzen
Ein Beispiel dafür ist die Episode in der Air Force One, als Trump eine kritische Reporterin als „quiet piggy“ abkanzelt – eine offen sexistische, entmenschlichende Herabwürdigung. In den USA sorgt das für Empörung, auch im republikanischen Lager; in Europa geht der Vorfall nahezu unter.
Bemerkenswert ist weniger die Beleidigung selbst – Trump hat sein Frauenbild oft genug offenbart – als der Umgang im eigenen Lager. Eine Sprecherin, von Romy als Idealfigur der „christlich-konservativen Frau“ beschrieben, verteidigt den Präsidenten sinngemäß mit dem Argument, er sei halt „ehrlich“ und trage das Herz auf der Zunge. Aus Grenzverletzung wird Authentizität.
Das Muster:
Sexismus wird normalisiert.
Loyalität schlägt Werte.
Medienaufregung verpufft, weil die nächste Welle schon rollt.
Schlechte Stimmung trotz Dauer-Optimismus: Wirtschaft im Trump-Jahr
Innenpolitisch ist die Lage, anders als im Daueroptimismus der Regierung, alles andere als rosig. Kevin bringt Zahlen zur Verbraucherstimmung mit: Der Confidence-Index des Conference Board liegt im November 2025 bei 88,7 Punkten – der schlechteste Wert seit April, ein deutlicher Rückgang.
Die Gründe, die im Podcast genannt werden:
Persistente Inflation: Lebensmittelpreise steigen weiter; ein Kernversprechen Trumps – sinkende Lebenshaltungskosten – bleibt unerfüllt.
Hohe Fixkosten: Mieten, Energie, Sprit – gerade Letzterer ist im Autoland USA politisch hoch sensibel.
Schwaches Beschäftigungswachstum und die Nachwirkungen des längsten Government Shutdowns der US-Geschichte.
Gleichzeitig setzt die Regierung massive Steuererleichterungen für Superreiche durch, die den Staatshaushalt belasten, während bei Programmen wie Medicaid gekürzt wird. Romy spricht von einer „Gesetzesmaschinerie“, die systematisch Vermögende entlastet und Arme belastet – ein klassischer Umverteilungsmechanismus nach oben.
Trump reagiert rhetorisch: Auf den Hinweis, die Situation habe sich nicht verbessert, sei seine Antwort sinngemäß, es werde „erst schlimmer, bevor es besser wird“. Der Turnaround bleibt unsichtbar, der Glaube daran wird zur politischen Glaubensfrage.
Progressive Städte, nervöses Establishment
Vor diesem Hintergrund gewinnen Kommunalwahlen in mehreren nordstaatlichen Städten an Bedeutung. Dort setzen sich linke, progressive Kandidaten durch – zum Teil in Bezirken, die bei der letzten Präsidentschaftswahl noch klar für Trump gestimmt haben.
Am Beispiel New York diskutieren die beiden den Aufstieg eines Politikers wie Mamdani, den sie als in Afrika geborenen, indischstämmigen Muslim beschreiben, der sich als „demokratischer Sozialist“ versteht. In deutscher Übersetzung wäre er wohl am ehesten als Sozialdemokrat einzuordnen.
Auffällig ist:
Mamdani startet als krasser Außenseiter mit Siegchancen unter fünf Prozent.
Er setzt auf visuell starke Kampagnen und soziale Medien – TikTok, Instagram, Reels – um junge, gebildete Stadtbewohner zu mobilisieren.
Teile der Demokraten halten lange Distanz, etwa wegen seiner klar pro-palästinensischen Positionen; prominente Unterstützung, etwa von Barack Obama, kommt erst, als der Sieg praktisch sicher ist.
Romy: In US-Maßstäben gelten diese Kandidaturen als „sehr links“, in deutschen Maßstäben oft als „Basic SPD“. Der Subtext: Die amerikanische politische Skala ist verschoben – und zugleich ist das eigene Lager alles andere als einig.
Gerrymandering als Waffe: Texas gegen Kalifornien
Ein zweites innenpolitisches Machtinstrument, das im Podcast eine Rolle spielt, ist das Gerrymandering – das Zuschneiden von Wahlkreisen zum eigenen Vorteil.
In Texas haben Republikaner ihre Wahlkreise so neu gezeichnet, dass sie fünf bis sechs zusätzliche Sitze im Repräsentantenhaus gewinnen. Kalifornien reagiert: Gouverneur Gavin Newsom, derzeit einer der sichtbarsten Gegenspieler Trumps, lässt die Bürgerinnen und Bürger darüber abstimmen, ob die Wahlkreise dort so angepasst werden sollen, dass die texanische Verschiebung teilweise neutralisiert wird – allerdings befristet auf zwei Wahlzyklen.
Newsom inszeniert sich dabei als Anti-Trump mit ähnlichen Mitteln:
aggressive Social-Media-Kommunikation
Merchandise, das Trump parodiert („Make America Gavin Again“)
pointierte, oft spöttische Angriffe, die Fox News zu der paradoxen Lage bringen, seinen Ton zu kritisieren, ohne den Präsidenten mit gleicher Härte zu messen.
Die Frage bleibt: Wie viel politische Substanz lässt dieser permanente Kampagnenmodus noch zu? Romy bezweifelt, dass Politiker*innen, die ständig „um Aufmerksamkeit kämpfen“, zugleich seriöse, langfristige Politik gestalten können.
Machtkämpfe im Hintergrund: JD Vance, Peter Thiel, Charlie Kirk
Kevin wagt eine Prognose: Trump selbst habe erkannt, dass eine dritte Kandidatur verfassungsrechtlich problematisch wird; im Hintergrund positioniere sich bereits JD Vance als möglicher Nachfolger – im Duell mit Gavin Newsom bei der nächsten Präsidentschaftswahl.
Romy bringt weitere Figuren ins Spiel:
Charlie Kirk, dessen Ermordung sie erwähnt – und der zuvor als wichtiger Akteur der rechten Bewegung gilt.
Peter Thiel, den sie als Strippenzieher beschreibt, dessen zentrale Motivation – so eine zitierte Doku – darin bestehe, möglichst keine Steuern zu zahlen.
Die bitterste Pointe in Romys Lesart: Enorme politische und gesellschaftliche Verwerfungen, Angriffe auf demokratische Institutionen und Normen werden letztlich von vergleichsweise banalen Motiven angetrieben – persönlicher Reichtum, Steuervermeidung, Macht.
Außenpolitik als Spiegel der inneren Krise: Russland und der 28-Punkte-Plan
Nach gut 20 Minuten voll Innenpolitik wechseln Kevin und Romy die Ebene – mit einem klaren Satz: US-Außenpolitik ist fast immer Folge der innenpolitischen Lage.
Im Zentrum steht ein „28-Punkte-Plan“ der USA für den Ukraine-Krieg, der – nach massiver Kritik aus Europa – bereits eingedampft wurde. Romy fasst ihn so zusammen:
Die Ukraine verpflichtet sich verfassungsrechtlich, niemals der NATO beizutreten.
Im Gegenzug erhält sie Sicherheitsgarantien – primär von den USA, Europa spielt eine Nebenrolle.
Die aktuellen Frontlinien werden als demilitarisierte Zone eingefroren.
Es gibt keine belastbare Garantie, dass Russland künftig keine weiteren Gebiete angreift.
Die ukrainische Armee soll zahlenmäßig begrenzt werden.
Für Romy erinnert dieses Paket vielmehr an Auflagen gegenüber einem Aggressor nach einem verlorenen Krieg – nur dass hier der Angegriffene, nicht der Angreifer, faktisch demilitarisiert würde. Ihre Diagnose: eine „Pervertierung der Geschichte“, die Russland belohnt und die Ukraine strukturell schutzlos macht.
Zugleich, so die Hoffnung, werde in Washington langsam deutlich, dass mit Russland auf dieser Grundlage kein belastbarer Frieden zu machen ist – und dass Moskau das Ziel verfolge, die gesamte Ukraine zu unterwerfen. Selbst ein Ende Putins würde daran wenig ändern; in der Logik der Podcast-Gesprächspartner stünden „zehn weitere“ bereit.
Der hybride Krieg erreicht Europa: Drohnen, Desinformation, AfD
Die These, Russland wolle „uns“ in Europa nichts Böses, halten Kevin und Romy für gefährlich naiv. Sie verweisen auf Formen hybrider Kriegsführung:
Drohnen-Sichtungen über Flughäfen,
systematische Desinformationskampagnen,
die gezielte Ausnutzung von Verunsicherung und Angst.
Die politische Kette, wie Romy sie beschreibt:
Verunsicherung durch reale oder vermeintliche Vorfälle.
Angst in der Bevölkerung.
Angst macht Menschen manipulierbar.
Manipulierbarkeit öffnet „Tür und Tor“ für Extremisten und Anti-Demokraten – etwa für eine AfD, die in Umfragen bei 25–26 Prozent liegt und teils mit der Union gleichzieht.
Während Talkshows bei Lanz, Maischberger & Co. noch darüber diskutieren, ob Russland „uns“ wohlgesonnen ist, sieht Romy das „Playbook“ Moskaus bereits wirksam umgesetzt.
Vom Drogenkrieg zur Ölkrise: Venezuela als nächste Front?
Der zweite große außenpolitische Konfliktpunkt ist Venezuela. Offiziell stellt die US-Regierung ihr militärisches Engagement dort als Beitrag zum „Drogenkrieg“ dar. Romy hält diese Begründung für vorgeschoben:
Ein Großteil der in Venezuela produzierten Drogen sei für Europa bestimmt, nicht für die USA.
Der Aufmarsch der US-Marine vor der Küste gleiche eher einer Kriegsdrohkulisse als einer polizeilichen Maßnahme gegen Schmuggler.
Gleichzeitig verfügt Venezuela über die größten bekannten Erdölvorkommen der Welt – ein Motiv, das weder Kevin noch Romy für zufällig halten. Ihre Lesart:Die Zugeständnisse der USA an Russland in der Ukraine-Frage und das robustere Vorgehen gegenüber Venezuela seien „zwei Seiten derselben Medaille“. Die USA erkauften sich gewissermaßen diplomatische Ruhe aus Moskau, um in Lateinamerika freie Hand zu haben – auf Kosten eines ohnehin autoritär regierten, wirtschaftlich ausgebluteten Landes.
Für Romy ist das besonders irritierend, weil sich Trump gern als Friedensbringer inszeniert. Das, was aktuell vorbereitet werde, beschreibe sie als „außenpolitische Schandtat“, die noch bevorstehe. Die Sorge: Öl, Ideologie und innenpolitischer Druck könnten die USA in einen weiteren, nur dünn legitimierten Konflikt treiben.
Fazit: Ein Land im permanenten Ausnahmezustand
Am Ende der Folge bleibt weniger ein klarer Befund als ein Gefühl: Dauererregung als Regierungsmodus. Skandale, Personalentscheidungen, Wahltricksereien, außenpolitische Manöver – alles überlagert alles. Kevin bringt es auf den Punkt: Man habe das Gefühl, in einem Jahr Trump 2.0 mehr erlebt zu haben als früher in einer ganzen Amtszeit.
Für Demokratien, auch in Europa, stellt sich damit die Frage, die im Podcast nur kurz gestreift, in der Nuremberg Times aber weiter vertieft wird:Wie verteidigt man eine offene Gesellschaft gegen eine Politik, die von Eskalation lebt, Fakten relativiert und demokratische Verfahren gezielt ausnutzt?




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