Ausgliederung im Profifußball: Was Nürnberg von Heidenheim und Freiburg lernen kann
- Kevin Kienle

- 6. Dez.
- 5 Min. Lesezeit
In der deutschen Fußballlandschaft hat sich über die vergangenen Jahrzehnte eine Form der Professionalisierung etabliert, die weit über Trainer- und Spielerwechsel hinausgeht: die strukturelle Transformation des Vereins. Immer mehr Klubs gliedern ihre Profi-Fußballabteilung aus dem traditionellen Vereinsverband aus und überführen sie in eine Kapitalgesellschaft — mit erheblichen finanziellen, rechtlichen und governance-bezogenen Folgen. Während Top-Klubs diesen Schritt längst gemacht haben, existieren in der Bundesliga und unteren Ligen noch Vereine, die im klassischen e. V.-Modell verharren — darunter auch der 1. FC Nürnberg.
Doch nicht jede Ausgliederung ist gleich. Die Wege und Folgen variieren je nach Zustand des Vereins, Ambitionen und Umfeld. Besonders interessant sind dabei zwei Modelle: Der virtuos organisierte, ausgliederungsfreie Aufsteiger 1. FC Heidenheim 1846 und der traditionsreiche SC Freiburg, der im e. V.-Modell geblieben ist. Für Nürnberg könnten beide eine Art Blaupause sein — sofern man bereit ist, strukturell und strategisch zu denken.
Der folgende Beitrag erklärt, worum es bei einer Ausgliederung geht, beleuchtet das Vorgehen und die Entscheidungen bei Heidenheim und Freiburg — und zeigt auf, was Nürnberg daraus ableiten kann.
Was bedeutet „Ausgliederung“ im Profifußball?
Unter dem Begriff versteht man die Übertragung der Profi-Lizenzspielerabteilung eines Vereins auf eine eigenständige Kapitalgesellschaft (z. B. GmbH, GmbH & Co. KGaA, AG). Der Mutterverein bleibt bestehen, ist aber anschließend meist nur noch Mehrheitsgesellschafter oder Komplementär der neuen Gesellschaft.
Der Hintergrund: Nach deutschem Vereinsrecht (§ 21 BGB) darf ein eingetragener Verein (e. V.) grundsätzlich keine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben — Profifußball zählt aber genau dazu. Würde der Verein dauerhaft wirtschaftlich relevant aktiv bleiben, stünde seine Rechtsform infrage. Durch die Ausgliederung wird dieser Konflikt vermieden.
Mit der Kapitalgesellschaft öffnen sich neue Möglichkeiten: Beteiligung von Investoren oder strategischen Partnern, professionelle Verwaltung von Ticketing/Sponsoring/Marketing, aber auch die Trennung zwischen „Mitgliedschaft“ und unternehmerischem Risiko.
Gleichzeitig tritt oft eine veränderte Machtverteilung auf: Vereinsmitglieder verlieren direkten Einfluss auf sport- und wirtschaftliche Entscheidungen; Kontrolle läuft über Aufsichtsrat bzw. Gesellschafterstruktur der Kapitalgesellschaft.
Kurz: Ausgliederung ist der Versuch, den Profifußball samt seiner ökonomischen Dimension modern, rechtssicher und marktfähig zu organisieren — oft verbunden mit größerer wirtschaftlicher Flexibilität, aber auch mit weniger direkter Vereinsdemokratie.
Warum viele Clubs — und fast alle großen — diesen Schritt gingen
Der Profifußball in Deutschland ist längst kein Amateur- oder Nebenbetrieb mehr, sondern ein Geschäft mit Millionen-Umsätzen. Die klassischen Vereinsstrukturen stoßen hier an Grenzen.
Der Verband Deutscher Fußball-Bund/Deutsche Fußball Liga (DFB/DFL) erlaubt nur Kapitalgesellschaften die Lizenzvergabe, wenn der Mutterverein die Kontrolle behält — typischerweise via Mehrheit der Stimmrechte oder durch Stellung als Komplementär bei KGaA-Struktur (sogenannte 50+1‑Regel).
Die Kapitalgesellschaft ermöglicht den Zugang zu externem Kapital, Investment-Partnern und professionellen Verwaltungsstrukturen — entscheidend für moderne Vermarktung, Infrastruktur und international konkurrenzfähige Sportorganisation.
Laut Branchenanalysen haben sich seit Ende der 90er Jahre viele Profivereine umstrukturiert; heute dominieren Gesellschaftsformen wie GmbH & Co. KGaA, GmbH oder (seltener) AG.
In der Summe war und ist die Ausgliederung eine Antwort auf das gewachsene Spannungsfeld zwischen Vereinsideal und Wirtschaftsrealität.
Zwei kontrastierende Praxisbeispiele: Heidenheim und Freiburg
1. 1. FC Heidenheim – der e. V. mit wirtschaftlicher Klarheit
Der 1. FC Heidenheim 1846 e. V. agiert weiterhin als klassischer eingetragener Verein — also ohne Ausgliederung der Profi-Abteilung.
Dennoch hat Heidenheim seit Jahren sportlich und wirtschaftlich beeindruckt — Aufstieg in die Bundesliga, Wachstum der Mitgliederzahlen und insgesamt solide Basis.
Das Beispiel zeigt: Es ist möglich, im Wettbewerb nicht nur zu bestehen, sondern zu wachsen, ohne die Vereinsstruktur aufzugeben. Entscheidend sind hier vermutlich eine konservative Finanzpolitik, starke Vereinsbindung und strategische Führung.
Für Klubs wie den 1. FC Nürnberg signalisiert Heidenheim: Ausgliederung ist nicht zwangsläufig Voraussetzung für Stabilität und sportlichen Erfolg — mit kluger Verwaltung und Mitgliederbeteiligung kann auch das e. V.-Modell funktionieren.
2. SC Freiburg – ein Traditionsverein bleibt im e. V.
Der SC Freiburg e. V. ist — anders als viele große Bundesligisten — weiterhin als Verein organisiert.
Der Verein betont Tradition, Mitgliederbindung und lokale Verwurzelung — und zeigt, dass Selbstverwaltung und Vereinsdemokratie auch im modernen Fußball einen Platz haben können.
Dennoch bleibt spannend: Wie lange kann dieses Modell mittelfristig Bestand haben, wenn wirtschaftlicher Druck steigt — etwa durch steigende Gehälter, Infrastrukturkosten oder Wettbewerbsdruck?
Für Nürnberg ist Freiburg ein Beispiel dafür, dass Vereinsidentität und Unabhängigkeit trotz Leistungsdruck möglich sind — allerdings in einem Umfeld, das Stabilität und kluge Prioritätensetzung voraussetzt.
Was bedeutet das für Nürnberg? Optionen, Chancen und Risiken
Option | Potenzielle Vorteile | Mögliche Risiken/Probleme |
Ausgliederung der Profi-Abteilung | Zugang zu Investoren, professionelle Verwaltung, wirtschaftliche Robustheit, Wachstums- und Vermarktungspotenzial | Verlust von Vereinsdemokratie, Abhängigkeit von Investoren, Risiko von Spekulation und Kommerzialisierung |
Beibehaltung des e. V.-Modells (wie Heidenheim/Freiburg) | Erhalt von Vereinsidentität, Mitgliederbeteiligung, lokal verwurzelte Struktur | Begrenzte Kapitalbasis, mögliche Wachstumsgrenzen, Schwierigkeiten bei großen Investitionen/modernem Profifußball |
Warum Nürnberg über beide Optionen nachdenken sollte
Der Profifußball verändert sich: Wachstumsdruck, Infrastruktur, Vermarktung und Wettbewerbsfähigkeit verlangen zunehmend professionelle Strukturen. Ein Rückfall ins „reine Ehrenamt“ dürfte langfristig kaum tragfähig sein — selbst, wenn wünschenswert.
Andererseits birgt die Ausgliederung das Risiko, das Vereinsgefüge zu entkoppeln von dem, was viele Fans als Identität und Heimat empfinden. Nicht zuletzt deshalb wehrt sich die Community vieler Vereine gegen einen „kommerzialisierten Fußball“.
Die Entscheidung für oder gegen Ausgliederung ist keine rein wirtschaftliche — sondern eine existenzielle für den Klub: Es geht um Selbstverständnis, Zukunftsvision und das Verhältnis von Gemeinschaft und Kapital.
Für Nürnberg heißt das: Ein solcher Schritt müsste sorgfältig vorbereitet, transparent kommuniziert und mit strukturellem Nachdenken verbunden sein. Möglicherweise könnte eine hybride Lösung — etwa partielle Ausgliederung bestimmter Geschäftsbereiche, während der Verein demokratisch bleibt — der Kompromiss sein.
Fallstricke & Kritik – Warum Ausgliederung nicht unproblematisch ist
Demokratieverlust: Mitglieder verlieren direkten Einfluss auf sportliche und wirtschaftliche Entscheidungen; Macht wandert zu Geschäftsführern und Investoren.
Finanzielle Abhängigkeit: Investoren und externe Geldgeber können Einfluss gewinnen — im Extremfall auf Kosten des Vereinscharakters und der Fans.
Kommerzialisierung statt Sport: Der sportliche Erfolg wird zur Ware — Gestaltungsspielräume werden durch Rendite-Interessen eingeengt.
Identitätsverlust: Für traditionell gewachsene Klubs besteht die Gefahr, dass sie ihre Wurzeln verlieren — Vereinsmitgliedschaft wird zunehmend symbolisch, nicht mehr funktional.
Diese Kritikpunkte sind nicht theoretisch: Fanproteste und Mitgliederbeschwerden bei bereits ausgegliederten Vereinen zeigen, dass Strukturfragen sehr real mit Identität und Vertrauen verbunden sind.
Kein Patentrezept, aber ein Fundament zum Nachdenken
Die Diskussion um Ausgliederung im Profifußball trägt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Dimensionen. Für einen Klub wie den 1. FC Nürnberg — mit Tradition, Fans, Erwartungen und Ambitionen — liegt der Schlüssel in einer strategischen Entscheidung, die weit über kurzfristige Erfolge hinausgeht.
Die Beispiele von Heidenheim und Freiburg zeigen:
Es ist möglich, im e. V.-Modell sportlich erfolgreich und wirtschaftlich stabil zu sein — mit kluger Führung und Bodenhaftung.
Es ist aber auch legitim, über professionelle Strukturen nachzudenken — wenn Transparenz, Kontrolle und Identität gewahrt bleiben.
Letzten Endes muss sich Nürnberg entscheiden, ob es seine Zukunft gemeinschaftlich als Verein gestalten will — oder unternehmerisch als moderne Fußballorganisation. In beiden Fällen gilt: Die Entscheidung braucht Weitsicht, demokratische Legitimation und das Bewusstsein, dass Fußball mehr ist als ein Geschäft.




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