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Eine Gesellschaft im Verdruss

Ein Kommentar von Gagandeep Singh


Schulnoten für Politikerinnen und Politiker und schwindende Mitgliederzahlen in Vereinen. Das eine zeigt die Haltung gegenüber Verantwortungsträgern und das andere gibt einen Aufschluss über den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Um beides ist es nicht gut bestellt.


In Talkshows und Zeitungsartikeln werden Politiker mit schlechten Noten abgestraft, wie zum Beispiel am 13.08.2023 in der Sächsischen Zeitung „Schlechte Noten für Olaf Scholz“. Weiter heißt es, dass die Mehrheit der Bürger den Bundeskanzler für Durchsetzungsschwach hält. Die Ampel wird ebenfalls regelmäßig einem Ranking im Schulnotensystem unterzogen und mit schlechten Ergebnissen bestraft, meist basierend auf Umfragen, die kaum undurchschaubarer sein könnten. Natürlich lässt sich daraus objektiv schließen, dass die Bundesregierung und der Kanzler unbeliebt sind. Jedoch verrät der Umgang der meinungsbildenden Medien, viel über dessen Zustand. Es werden kaum inhaltliche Maßstäbe herangezogen, vielmehr sind es reine Beliebtheitswerte oder andere subjektive Merkmale, wie zum Beispiel über die Zufriedenheit der Arbeit des Bundeskanzlers. Um die Frage nach der Beliebtheit zu beantworten, werden keine Kenntnisse über die tatsächliche Arbeit des Kanzlers benötigt, sondern ein Klick auf einer Webseite. Besonders absurd wurde es, als infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, es zu einem Energiepreisschock kommt. Infolgedessen wird der Kanzler regelmäßig von Journalisten gefragt, welche Haushaltstipps er der Bevölkerung geben kann, wie zum Beispiel kürzer zu duschen. Diese Fragen kommen nicht von der Bild-Zeitung, sondern vom Moderator des Hauptstadtstudios der ARD. Das besonders Tragische an dieser Art des Journalismus ist, dass die Zuhörer einen Kanzler nicht als Kanzler, sondern als Privatperson erleben müssen. Damit wird die Würde des Amtes links liegen gelassen und angesichts einer wahrhaftigen Krise das Rampenlicht auf die Privatperson gelenkt. Eine Situation, in der die Person Olaf Scholz nur verlieren kann. Das müsste der Journalist und Moderator wissen, aber es scheint wichtiger sein, zu wissen, wie die Privatperson Olaf Scholz Energiekosten spart, als zu erfahren, welche politischen Maßnahmen der Bundeskanzler ergreift, um die Krise zu bewältigen. Ein echter Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Journalismus. Zurückbleiben die Zuschauer, die einen Kanzler erleben, der in dieser Situation arrogant und schmallippig wirkt. Ein weiterer Schritt, der die Verachtung von Politikern und den Staatsverdruss fördert. Wie sollen mit diesem Umgang junge Menschen den Weg in die Politik einschlagen? Vor allem Menschen mit hoher Leistungsbereitschaft können heute in der Wirtschaft gutes Geld verdienen. Dort können sie in der Anonymität ihrer Karriere nachgehen. Als Politikerin oder Politiker sind sie auf ihrem Weg Spott und Häme ausgesetzt. Wer hat da noch Lust, diesen Weg einzuschlagen?


Zur Politiker-, Staats- und Demokratieverdrossenheit gesellt sich eine weitere Form des sozialen Verdrusses. Infolge der Coronapandemie leiden Vereine unter Mitgliederschwund. Vereine sind Begegnungsstätten, Orte des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der körperlichen Ertüchtigung. Das Zusammenfinden in Vereinen trägt zur Zugehörigkeit zu einer Zivilgesellschaft bei. Geht die Zahl der Menschen mit Vereinsmitgliedschaften zurück, wirkt sich das unweigerlich auf das Zugehörigkeitsgefüge in einer Gesellschaft aus. Die meisten Vereine sind Sportvereine. Neben Sportvereinen gibt es aber auch Parteien, in denen sich der Mitgliederschwund, vor allem in den beiden ehemals großen Volksparteien, seit Anfang der neunziger Jahre besonders gravierend ist. 1990 hatte die SPD etwa 950.000 und die CDU 800.000 Mitglieder. Heute sind es in beiden Parteien jeweils um die 400.000.


Neben all dem Verdruss gibt es auch Zeichen der Hoffnung. So hat sich mit der Jugendbewegung um Fridays-For-Future ein neuer politischer Diskurs etabliert und eine neue Generation an engagierten jungen Menschen hervorgebracht, die sich in Vereinen, Parteien und Initiativen organisieren. Treibende Kraft hinter dem Geschehen ist sicherlich der Klimawandel, der die Menschheit vor große Herausforderungen stellt. Ich sehe neben dem Klimawandel auch den sozialen Zusammenhalt in Demokratien als zentrale Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Demzufolge lautet meine These: „Eine erfolgreiche Klimapolitik gelingt nur, wenn der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft gegeben ist.“


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