Gewalt, Wahlen und Wahrnehmung: Ein Blick auf Anschläge und ihre Berichterstattung in Deutschland
- Kevin Kienle
- 16. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Die Bundestagswahl 2025 steht kurz bevor, und erneut wird der Wahlkampf von einer Serie von Anschlägen überschattet. Die mediale Berichterstattung konzentriert sich dabei oft auf die Herkunft der Täter, insbesondere wenn es sich um Asylbewerber handelt. Doch wie ausgewogen ist diese Darstellung? Gibt es eine systematische Verzerrung in der Berichterstattung, die andere Formen von Gewalt – etwa durch deutsche Täter – in den Hintergrund rückt? Dieser Artikel beleuchtet die Fakten, Hintergründe und mögliche Zusammenhänge.
Die aktuelle Lage: Anschläge vor der Wahl
In den letzten Wochen wurden drei Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München verübt. Der jüngste Vorfall in München, bei dem ein zweijähriges Kind und seine Mutter starben, wird als islamistisch motiviert eingestuft. Der mutmaßliche Täter ist ein abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan. Solche Taten verstärken die öffentliche Debatte über Migration und innere Sicherheit, die ohnehin den Wahlkampf dominieren.
Die politische Reaktion ist erwartbar polarisiert: Während die AfD einen "Migrationsstopp" fordert, betonen andere Parteien wie die Grünen die Notwendigkeit einer umfassenden Sicherheitsstrategie. Doch auffällig ist, dass solche Vorfälle oft als Beleg für systemische Probleme in der Asylpolitik herangezogen werden.
Gegenüberstellung: Gewalt durch deutsche Täter
Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt, dass schwere Gewalttaten keineswegs ausschließlich von Migranten begangen werden. Deutsche Täter sind ebenfalls verantwortlich für zahlreiche Morde und Anschläge. Ein prominentes Beispiel ist der rechtsextreme Anschlag in Hanau 2020 oder der Mord an Walter Lübcke 2019. Auch Amokläufe wie der von Winnenden (2009) oder Erfurt (2002) wurden von deutschen Staatsbürgern verübt.
Trotzdem erhalten solche Taten oft weniger anhaltende mediale Aufmerksamkeit, insbesondere wenn sie nicht direkt mit politischen oder religiösen Motiven verbunden sind. Dies könnte daran liegen, dass sie schwerer in bestehende politische Narrative eingebettet werden können.
Häusliche Gewalt: Ein unterschätztes Problem
Während spektakuläre Anschläge große Schlagzeilen machen, bleibt eine andere Form tödlicher Gewalt oft im Hintergrund: häusliche Gewalt. Diese betrifft überwiegend Frauen und Kinder und wird in den meisten Fällen von deutschen Tätern verübt. Die Zahlen sind erschreckend:
Femizide in Deutschland: Im Jahr 2024 wurden laut einer Recherche von One Billion Rising 165 Frauen und sechs Mädchen von ihren Partnern, Ex-Partnern oder anderen männlichen Bekannten getötet.
Partnerschaftsgewalt: Das Bundeskriminalamt (BKA) meldete für 2023 insgesamt 155 Frauen, die durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet wurden – fast täglich stirbt eine Frau in Deutschland durch solche Gewalttaten.
Kinder als Opfer: Auch Kinder sind betroffen. Ein tragischer Fall ereignete sich am 25. Dezember 2024 in Rosenheim, als eine Mutter ihre beiden Kinder (6 und 7 Jahre alt) tötete und anschließend versuchte, sich selbst das Leben zu nehmen.
Beispiele für aktuelle Fälle
Rheda-Wiedenbrück (November 2024): Ein 50-jähriger Mann erwürgte seine Ehefrau (46) und rief anschließend selbst die Polizei.
Hammelburg (November 2024): Ein 81-jähriger Mann tötete seine Ehefrau (76) und meldete den Vorfall über Notruf. Die Ermittlungen ergaben Hinweise auf seine Täterschaft.
Berlin-Marzahn (Januar 2025): Ein Mann (29) lauerte seiner Ex-Partnerin auf und tötete sie mit dutzenden Messerstichen.
Essen (September 2024): Ein Mann legte Feuer in zwei Wohnhäusern, um seiner Frau zu schaden, nachdem sie ihn verlassen hatte. Dabei wurden 31 Menschen verletzt, darunter acht Kinder, zwei davon lebensgefährlich.
Diese Fälle zeigen deutlich, dass tödliche Gewalt innerhalb von Beziehungen kein Randphänomen ist, sondern ein tief verwurzeltes gesellschaftliches Problem darstellt.
Mediale Verzerrung oder gezielte Aufmerksamkeit?
Die mediale Fokussierung auf Täter mit Migrationshintergrund könnte mehrere Gründe haben:
Politische Instrumentalisierung: Migration ist ein zentrales Wahlkampfthema. Ereignisse mit Bezug zu Asylbewerbern werden daher stärker ausgeschlachtet.
Narrative Präferenzen: Medien neigen dazu, Geschichten zu erzählen, die polarisieren und Emotionen wecken. Ein Angriff durch einen Migranten passt besser in bestehende Stereotype als ein deutscher Täter.
Sicherheitsdebatte: Die öffentliche Angst vor "dem Fremden" wird durch solche Berichte verstärkt und politisch genutzt.
Im Gegensatz dazu wird häusliche Gewalt oft als "private Tragödie" dargestellt und weniger prominent diskutiert – trotz ihrer Häufigkeit und der verheerenden Folgen.
Faktencheck: Zahlen zur Gewaltkriminalität
Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) waren 2024 etwa 60 % aller Tatverdächtigen deutscher Herkunft.
Bei politisch motivierten Straftaten dominiert der Rechtsextremismus mit über 20.000 Fällen jährlich – eine Zahl weit höher als islamistisch motivierte Taten.
Gleichzeitig zeigt sich eine Überrepräsentation von Nicht-Deutschen bei bestimmten Delikten wie Körperverletzung oder Raub.
Häusliche Gewalt bleibt jedoch eine der häufigsten Formen tödlicher Gewalt in Deutschland – fast ausschließlich durch deutsche Täter.
Diese Statistiken verdeutlichen, dass Gewaltkriminalität kein monolithisches Phänomen ist und differenziert betrachtet werden muss.
Fazit
Die Häufung von Anschlägen vor Wahlen mag teils zufällig sein, teils aber auch auf gesellschaftliche Spannungen hinweisen, die durch Wahlkämpfe verstärkt werden. Die mediale Fokussierung auf bestimmte Tätergruppen spiegelt jedoch nicht immer die Realität wider und kann bestehende Vorurteile vertiefen.
Gleichzeitig zeigt sich ein erschreckendes Bild bei häuslicher Gewalt: Sie fordert jährlich weitaus mehr Opfer als spektakuläre Anschläge und bleibt dennoch oft im Schatten öffentlicher Debatten. Eine ausgewogene Berichterstattung sollte alle Formen von Gewalt gleichermaßen beleuchten – unabhängig von Herkunft oder Motiv des Täters – und dabei auch strukturelle Probleme wie häusliche Gewalt stärker thematisieren.
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