Sparsamkeit ist eine Tugend. Sparsame Menschen werden als diszipliniert, intelligent und weise wahrgenommen, da sie mit den Mitteln auskommen, die ihnen zu Verfügung stehen und darüber hinaus regelmäßig Geld zur Seite legen, um für schlechte Zeiten oder für das Alter vorzusorgen. Unternehmen, die mehr Eigenkapital als Schulden vorweisen, gelten als „gesund“. Allerdings haben die meisten Unternehmer mit Schulden angefangen, um ihr Unternehmen aufzubauen. Unternehmerinnen und Unternehmer gehen dabei naturgemäß ein Risiko ein. Wenn die Unternehmung erfolgreich ist, können Schulden getilgt und Vermögen geschaffen und reinvestiert werden. Banken vergeben Kredite, die in Form von Investitionen einen Wert widerspiegeln. Im betriebswirtschaftlichen Sinne stehen den Schulden, auch als Fremdkapital bezeichnet, Vermögen gegenüber. Die meisten Privatpersonen stellen sich unter Schulden eine Zahl mit dickem Minus und in Rot dargestellt vor. In Unternehmen findet sich dieses rote Minus in Form von Vermögen auf der Aktivseite, die die Mittelverwendung angibt, der Bilanz wieder. Kauft sich eine Privatperson ein Haus, ein Grundstück oder eine Wohnung und nimmt dafür einen Kredit auf, ist dieser durch den Wert der Immobilie gedeckt. Zusammenfassend, Schulden stehen in den meisten Fällen reale Werte gegenüber.
Keine Schulden ohne Risiko und kein Wohlstand ohne Schulden. Das gilt für Unternehmen und gewissermaßen auch für Privathaushalte, wenn es beispielsweise um den Erwerb von Wohneigentum geht. Dennoch werden Schulden, vor allem in Deutschland, gesellschaftlich verpönt und als negativ angesehen. In Familien und Bekanntenkreisen wird kaum oder gar nicht über Schulden gesprochen. Sparsamkeit ist eine Tugend und wird in der Erziehungsarbeit stets vermittelt, was auch gut ist. Dennoch sollte der Umgang mit Schulden und der Zweck von Schulden bereits in jungen Jahren eines Menschen vermittelt werden. Dass es daran mangelt, lässt sich besonders eindrucksvoll bei der Debatte um die Schuldenbremse beobachten. Deutschland ist vermutlich das einzige Land, in der es möglich ist, dem Souverän zu vermitteln, eine Volkswirtschaft funktioniere genauso, wie ein Unternehmen oder gar im Sinne der „Schwäbischen Hausfrau“, wie ein Privathaushalt. Dies führte im Jahr 2009, im Zuge der Finanzkrise, die im Wesentlichen eine Bankenkrise war, zur Einführung der Schuldenbremse in Form einer Grundgesetzänderung. Diese Grundgesetzänderung wurde der Bevölkerung mit dem Narrativ einer soliden Haushaltsführung verkauft und die ehemalige Bundeskanzlerin hat in einer Rede in Stuttgart im Jahr 2008 die Analogie zur schwäbischen Hausfrau genutzt. Daraufhin wurde unter dem Finanzminister, Per Steinbrück, die Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht und durch die Mehrheiten der großen Koalition durchgesetzt. Heute, 15 Jahre später, wird die Schuldenbremse, aufgrund des massiven Investitionsstaus in der Bundesrepublik kritisch bewertet. Eine längst überfällige Debatte wird nun angestoßen, die die regierende „Ampel“ vor eine Zerreißprobe stellt.
Der politische und gesellschaftliche Umgang mit der Schuldenbremse und die Debatte darüber zeigen, wie schlecht es um die volkswirtschaftliche Bildung in Deutschland steht. Ein Finanzminister, der der Schuldenbremse eine höhere Weisheit zuspricht, lässt schon erahnen, dass diese Diskussion ideologisch aufgeladen ist. Ideologie braucht keine Argumente. Man muss nur daran glauben. Die Opposition bläst in dasselbe Horn und mahnt regelmäßig zur soliden Haushaltsführung, am liebsten in Verbindung mit Sozialabbau und Steuererleichterungen für Unternehmen und Mittelstand. Besonders tragisch ist die journalistische Arbeit Bezug auf Staatsfinanzen. Vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es besonders schlecht um ökonomische Grundkenntnisse bestellt, was man täglich bei Markus Lanz oder wöchentlich bei Anne Will und Maybrit Illner erleben kann. Gäste aus den Regierungsparteien, werden ausschließlich zur Haushaltsführung in die Mangel genommen, anstatt die Rahmenbedingungen zu hinterfragen, in der sich die regierenden Parteien bewegen. Das führt zu bizarren Diskussionen, die. Meist darin münden, Sozialleistungsempfängern oder Asylbewerbern wenige Euros zu streichen, um damit einen kleinen Bruchteil eines enormen Haushaltslochs zu stopfen. Beim Zuschauenden entsteht der Eindruck, dass dies die einzige Dimension des Lösungsraumes ist. Die Volkswirtschaft leidet unter den Investitionsstaus in Infrastruktur, Wirtschaft, Medizin und Bildung und man bekommt den Eindruck, dass an allem gespart wird, nur nicht bei Empfängern von Sozialleistungen. Eine der wichtigsten Debatten, wird durch die Gesprächsführung der Moderatorinnen und Moderatoren verkürzt und der gesellschaftliche Zusammenhalt vergiftet. Deshalb wird nachfolgend der Versuch unternommen, eine möglichst ideologiefreie Bewertung der Schuldenbremse, sowie eine Einordnung der Debatte vorzunehmen.
Staatsfinanzen sind nicht vergleichbar mit privaten Haushalten.
Staatsfinanzen unterscheiden sich grundlegend von privaten Haushalten und auch von den der Unternehmen. Ein Mythos, den es von vornherein auszuräumen gilt, sind Sozialausgaben, die als Verschwendung dargestellt werden. Sozialausgaben gehen zu 100 % in den Konsum und damit in den Wirtschaftskreislauf, woran der Staat durch Steuereinnahmen verdient. Gerade in Zeiten von Inflation infolge des Energiepreisschocks, war die soziale Stütze essenziell. Wären die Sozialleistungen nicht teilweise an die Preissteigerung angepasst worden, wäre es zu einem spürbaren Einbruch des Konsums gekommen, worunter die Wirtschaft noch stärker gelitten hätte als durch gestiegene Energiepreise. Sozialausgaben sind somit eine Form von Investition. Investitionen und Ausgaben sind voneinander zu unterscheiden. Ausgaben, die zum Betrieb einer Volkswirtschaft dienen, wie zum Beispiel Gehälter für Beamte, sind keine Investitionen, sondern Ausgaben. Alles, was einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft hat, wie Subventionen für Unternehmen, Ausbau der Infrastruktur, neue Ausstattung für Schulen, Anschaffung neuer Rüstungsgüter und Sozialleistungen sind Investitionen.
Ein Staat existiert über ein Menschenleben hinaus, weshalb er seine Schulden nicht bis zu einem bestimmten Alter getilgt haben muss. Solange die Zinsen bedient werden können, ist ein Staat zahlungsfähig. Läuft die Zinsbindung aus, werden neue Kreditverträge zu neuen Zinsbedingungen geschlossen. Das führt dazu, dass gerade in Zeiten von Inflation, die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sinkt, weil durch gestiegene Preise mehr Steuereinnahmen generiert werden.
Der Staat hat das Monopol zur Geldschöpfung von Bargeld. Das Bargeld, in Form von Scheinen und Münzen macht zwar nur etwa 7 % des sich im Umlauf befindlichen Euros aus, ist aber dennoch eine wichtige Stütze des Vertrauens im Geldsystem. All diese Merkmale staatlicher Finanzen unterscheiden sich elementar von privaten Haushalten.
Die Haupteinahmen des Staats setzen sich aus Einnahmen von Steuern, Gebühren und Beiträgen zusammen. Zudem kann der Staat Anleihen ausgeben, für die er Zinsen bezahlt, welche von Zentralbanken und Kapitalanlegern gekauft werden. Während der Negativzinsphase in den 10er Jahren hat der Staat sogar an seinen eigenen Schuldverschreibungen verdient.
Ähnlich, wie in einer Unternehmensbilanz, in der sich Schulden und Eigenkapital im Vermögen widerspiegeln, so spiegeln sich Staatsschulden in den Vermögen der Privatwirtschaft wider. Anders ausgedrückt: die finanziellen Vermögen des einen sind immer die Schulden des anderen.
Bewertung von Staatsschulden
Staatsschulden sind nicht per se als negativ zu bewerten. Die Staatsschulden des deutschen Staates haben sich in den Jahren 2012 bis 2019 positiv entwickelt. In den Jahren 2015 bis 2019 hat Deutschland mehr eingenommen, als ausgegeben, was in der Abbildung 1 zu sehen ist. Infolge der Coronapandemie war der Staat gezwungen, die Wirtschaft zu stabilisieren und hat dafür nach 5 Jahren Austerität wieder seinen Schuldenstand erhöht. Unter Austerität ist eine strenge staatliche Haushaltsführung zu verstehen, die keine Neuverschuldung vorsieht. Durch die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse muss der Staat wieder zur Austeritätspolitik zurückkehren, was in Verbindung mit der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in den Jahren 2022, 2023 und vermutlich auch 2024 nur schwer durchzuhalten sein wird.
„Eine Folge der Austeritätspolitik der vergangenen Jahre ist ein massiver Investitionsstau in Infrastruktur, Verteidigung, Bildung und Klimaschutz.“
Ökonomen der sogenannten „Neoklassischen Schule“ argumentieren, dass eine stabile und strenge staatliche Haushaltsführung, also möglichst geringe Staatsschulden und keine Neuverschuldung, das Vertrauen in eine Volkswirtschaft stärkt und damit die Wirtschaft als ganzes davon profitiert. Schaut man sich jedoch die aktuelle Lage an, kann von starker Wirtschaft nicht die Rede sein. Eine Folge der Austeritätspolitik der vergangenen Jahre ist ein massiver Investitionsstau in Infrastruktur, Verteidigung, Bildung und Klimaschutz. Hier stößt die Haushaltsführung an ihre Grenzen und wird sogar zum Verhängnis, wenn es darum geht, notwendige Weichen für die Zukunft einer Volkswirtschaft zu stellen.
Befürworter der Keynesianischen Ökonomie sehen den Staat als zentralen Wirtschaftsakteur, der durch Investitionen und Ausgaben wichtige Impulse für das Wirtschaftssystem setzt. Eine mögliche Überschuldung des Staates kann in dieser Denkschule durch die Erhebung von Steuern bei sehr Vermögenden eingedämmt werden, was eine weitere Debatte über die Besteuerung von Vermögen eröffnet, welche hier den Rahmen sprengen würde. Deshalb lohnt sich nun ein Blick auf einen Vergleich von Staaten und deren Schuldenquoten. Die Schuldenquote berechnet sich aus dem Verhältnis der nominalen Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Wenn die Quote höher als 100% liegt, ist der Schuldenstand größer als die jährliche Wirtschaftsleistung eines Landes.
Um die Staatsschulden Deutschlands bewerten zu können lohnt sich der Blick ins Ausland, vor allem im Vergleich mit den großen Volkswirtschaften der Welt. Deutschland ist mit 4,09 Billionen US-Dollar (4.086 Milliarden) die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und liegt damit knapp hinter Japan mit 4,2 Billionen US-Dollar. In der Abbildung 2 liegen diese Länder jedoch sehr weit auseinander. Japans Staatsverschuldung zählt zur höchsten im OECD -Ländervergleich (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Zudem bewegt sich der japanische Leitzins seit über 10 Jahren zwischen 0 und 1 Prozent, was Kreditaufnahmen begünstigt. Allerdings macht sich das Land abhängig von billigen Krediten und von der eigenen Zentralbank, die die Staatsanleihen aufkaufen muss, was ein hohes Risiko birgt. Aktuell werden diese Schuldverschreibungen von der alternden japanischen Gesellschaft geschultert, was nicht ewig der Fall sein wird. Damit ist Japan ein gutes Beispiel dafür, welches Risiko in der Überschuldung eines Staates stecken. Allerdings ist es auch ein Beweis dafür, dass die Staatsverschuldung nicht das alleinige und ausschlaggebende Maß für eine erfolgreiche und gut funktionierende Volkswirtschaft ist.
„Staatsschulden sind nicht das ausschlaggebende Maß für eine gesunde Volkswirtschaft.“
Ein Blick in die USA zeigt, wie es auch anders geht. Die amerikanische Wirtschaft brummt und hat sich von den Einschnitten infolge der Corona-Pandemie vollständig erholt. An den amerikanischen Börsen ist Goldgräberstimmung, während wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa lahmt. Durch das massive und umfangreiche Investitionsprogramm „Inflation Reduction Act“, kurz IRA, pumpt die amerikanische Regierung 738 Milliarden Dollar in die heimische Wirtschaft, um sie bei der Klimatransformation zu unterstützen und resilienter sowie unabhängiger von externen Ressourcen und Nationen, wie China zu machen. Es ist vollkommen belanglos, dass hierfür die Staatsschuldenquote weit über 100 Prozent (144 %) erreicht, wenn infolge einer boomenden Wirtschaft, die Staatseinnahmen sprudeln und dabei die Transformation der Industrie gelingt.
Es bringt der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft rein gar nichts, wenn das Land sich mit einer Staatsschuldenquote von unter 70 % brüstet und so getan wird, als müsste der Staat wie die schwäbische Hausfrau, mehr einnehmen als ausgeben. Es ist angesichts des Investitionsstaus sogar gefährlich, die Neuverschuldung per Grundgesetzt so weit zu begrenzen, dass neben den gewöhnlichen Staatsausgaben, keine umfangreichen Investitionen mehr erfolgen können. Die Absurdität der Schuldenbremse wird zudem durch sogenannte „Sondervermögen“ deutlich, die nichts anderes sind als Kreditermächtigungen für einen bestimmten Zweck. Beispielsweise wird für die Aufrüstung und Modernisierung der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro eingesetzt, welches neben dem gewöhnlichen jährlichen Etat von 51,8 Milliarden Euro (Stand 2024), weitere Finanzmittel für Investitionen bereitstellt. Was für die Bundeswehr gut funktioniert, müsste nun in für die Bereiche Infrastruktur, Klimatransformation der Wirtschaft und Bildung folgen. Es wird auch schon diskutiert, das Konstrukt der Sondervermögen auf alle Investitionsbereiche auszuweiten, da hierfür keine Anpassung der Schuldenbremse und damit keine Grundgesetzänderung von Nöten ist.
Fazit
Die Schuldenbremse hat ausgedient. Sie hatte ihre Motivation in Zeiten rapide steigender Staatsverschuldung infolge der Finanzkrise im Bankensektor im Jahr 2007. Der Bankenkrise folge eine Staatsschuldenkrise in Europa, welche eine die strenge Austeritätspolitik rechtfertigen sollte. Deutschland hat mit der Schuldenbremse als Vorbild für seine europäischen Nachbarn gedient, aber zu einem hohen Preis, wie sich heute herausstellt. Die Infrastruktur wurde auf Verschleiß gefahren und notwendige Investitionsimpulse für die Wirtschaft verschlafen. Das ist heute der Hauptfaktor, der das deutsche Wirtschaftswachstum lähmt. Es erscheint angesichts des massiven Investitionsstaus vollkommen unlogisch, wie Politiker weiterhin dem Dogma des Spardiktats folgen wollen und damit sogar Wahlkampf machen. Nichtsdestotrotz gibt es mit dem Konstrukt der Sondervermögen eine Alternative, die funktionieren kann, große Investitionsvolumen aufzubringen. Ein Sondervermögen hat eine Zweckbindung und kann über mehrere Jahre abgerufen werden, wird aber dennoch die Schuldenquote über die Zeit ansteigen lassen, was aber, wie wir nun wissen, kein guter Indikator für die Zahlungsfähigkeit eines Landes ist.
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